Bochum. .

Eines Tages fischt Ben Becker (51) die Anfrage aus dem Briefkasten, ob er nicht „Die Verteidigungsrede des Judas Ischariot“ von Walter Jens für ein Hörbuch einlesen wolle. Daraus ist eine Bühnen-Inszenierung geworden, mit der Becker auf Tournee geht – in der Bochumer Christuskirche und der Düsseldorfer Johanneskirche. Jens Dirksen sprach darüber mit dem Schauspieler.

Herr Becker, zuckt man zusammen, wenn man Judas sprechen soll?

Ben Becker: Ich habe zuerst gedacht: Ou, das schüttelt man nicht aus dem Ärmel. Die Fragen, die dieser wunderbare Rhetoriker Walter Jens aufgeworfen hat, haben mich beschäftigt.

Das hat Sie sofort gepackt?

Wenn ich jetzt ja sagen würde, fänd ich das fast überheblich. Nee. Das muss man schon hinterfragen. Und wenn man ein kleiner Junge ist wie ich, dann muss man telefonieren und Leute fragen, die sich eventuell besser auskennen. Aber ich hatte das Gefühl, dass dieser Text unheimlich aktuell ist.

Warum?

Sich zu beschäftigen mit Fragen von Verrat und Schuld, das fand ich interessant, weil ich hin und wieder die Tagesschau gucke. Vor vier Tagen haben sie Bilder gezeigt, wie Menschen den winterlichen Balkan durchqueren und da ist eine Mutter mit einem Kleinkind an der Brust dabei, bei zehn Grad minus. Also frage ich: Wer hat die Frau verraten? Wer ist daran schuld? Ich kann es nicht beantworten. Ich sehe auch die Antwort nicht bei Walter Jens. Aber uns selbst zu hinterfragen und die Schuld eventuell bei uns selbst zu suchen, das ist eine Aufgabe, die man meiner Meinung nach als Künstler hat.

Erzählt die Bibel nur die halbe Wahrheit über Judas Ischariot?

Wenn man sich mit der Bibel aus­ein­andersetzt, muss man sich auf die Suche nach der eigenen, nach unserer Wahrheit machen. Hat Judas recht getan oder nicht – das sind doch letztlich vordergründige Bildzeitungsfragen!

Also war es nicht die Faszination des Bösen, die Sie dazu gebracht hat, diese Rolle einzunehmen?

Wer sagt denn, dass Judas, dass der Typ überhaupt böse ist? Das ist ei­ne Behauptung, die wir in Frage stellen!

Schauspieler reizt das aber gerade doch.

Hach, meine Tochter sagt auch immer: Papa, spielst du schon wieder den Bösen? Kannst du nicht mal was Liebes spielen? Ich würde auch gern mal wieder was Liebes, was Witziges oder ‘n Clown spielen. Manchmal werd’ ich ja gefragt, von welcher Rolle ich noch träume – was soll ich da sagen? Winnetou? Hm, wobei, der Gedanke verdient Vergötterung, um mit Schiller zu sprechen. Lederhose hab ich ja schon an . . . (lacht)

Und warum können Sie böse Charaktere so gut?

Weil ich unheimliche Angst habe vor Obrigkeiten und Bösen und Bösartigkeiten überhaupt. Naja, und wenn ich mich recht erinnere, dann warten die Kinder beim Kasperletheater ja alle aufs Krokodil, das wollen wir doch alle sehen. Was wäre Rotkäppchen denn ohne den Wolf? Ich fänd’ allerdings am schönsten, wenn Rotkäppchen mit dem Wolf kuscheln würde.

Woran glauben Sie?

Pippi Langstrumpf! (lacht) Nee, mein’ ich ernst! Die stellt auch unheimlich viel in Frage. Eigentlich bin ich immer noch Kommunist.

Oh.

Ich meine nicht den ehemals real existierenden Sozialismus, sondern den philosophischen Gedanken, der hinter dem Kommunismus steht, den Urkommunismus!