San Sebastián. . Die baskische Kulturhauptstadt 2016 hat eigentlich schon alles, was sie braucht. Seit der Kapitulation der ETA 2011 sogar den Frieden. Nun will sie zum Modell werden.

Jeden Freitag um 12 Uhr steht das versprengte Häuflein vor der alten Feuerwache der baskischen Küstenstadt San Sebastián. Sie demonstrieren stumm, eine Handvoll Angehörige von ETA-Gefangenen, ihr Transparent fordert deren Freilassung. Eine der letzten Spuren der einst so gefürchteten Terrorgruppe, die über 830 Menschen ermordete, um das Baskenland unabhängig zu bomben.

Ausgerechnet 2011, in dem Jahr, als die ETA ihren bewaffneten Kampf einstellte, fiel die Entscheidung, dass San Sebastián 2016 Kulturhauptstadt Europas wird. Da stand das Thema bereits fest, und es war das, was die Basken bis dahin am meisten beschäftigt hat: Gewalt, und wie Kultur sie besiegen kann. „Aber das Thema ist ja nicht gestorben“, sagt Pablo Berástegui, Generaldirektor des Kulturhauptstadtprogramms von Donostia, wie San Sebastián auf Baskisch genannt wird: „Der Terror in der Welt ist nicht weniger geworden – und ebensowenig ist die Frage beantwortet, wie eine zivilisierte Gesellschaft mit dem Terror umgehen sollte, um ihn zu beenden.“

Shakespeare und Stadtplanung

Deshalb ist das Kulturhauptstadtprogramm der 200 000-Einwohner-Stadt auch keine Event-Feuerwerk geworden, sondern eher vernunft- und kopflastig geraten. Die drei „Leuchttürme“ sind:

„Frieden“ – mit einer großen Ausstellung im Mittelpunkt, die Beispiele für gelungene Friedensverträge vor Augen führt;

„Leben“ – soll die Alltagsentwicklung der Menschen in San Sebastián vorantreiben; sie sollen lernen, in die Stadtplanung einzugreifen, etwa wie man mithilfe von Licht Un-Orte verändert;

„Stimmen“ – so heißt das eigentliche Kulturprogramm, etwa mit einem „Mittsommernachtstraum“ am späten Abend des 21. Juni unter freiem Himmel in einem Park, 300 Menschen sollen den Schauspielern querfeldein folgen; zu Ehren des 400. Todestages von Shakespeare wird das Stück erstmals ins Baskische übersetzt, auch das live und öffentlich. Außerdem sollen internationale Künstler bei einem Antikriegsfestival Werke für die Menschenrechte erarbeiten.

Dank seiner stets frischen Seewinde und des milden Klimas zwischen winterlichen 7 und sommerlichen 22 Grad war die Stadt im 19. und 20. Jahrhundert der Sommerort der spanischen Könige, die vor der Hitze in Madrid flohen. Rund 150 Regentage im Jahr sorgen hier zudem dafür, dass sich das Auge stets an frischem Grün weiden kann, die Stadt bietet ihren Bewohnern nicht weniger als neun öffentliche Parks.

In den letzten Jahren sind sie stärker bevölkert denn je. Die nur allmählich abflauende Wirtschaftskrise, die aus manchem Universitätsprofessor einen Kioskbesitzer gemacht hat, lässt den Menschen mehr Zeit, als sie gern hätten. Viele hier sind auch in „Hermandades“, in Bruderschaften organisiert, in die man durch Freunde eingeladen wird. Man trifft sich, kocht oft zusammen, geht gemeinsam aus, hilft sich auch gegenseitig, wenn es nötig ist. Und es war oft nötig in den letzten Jahren.

Neue gesellschaftliche Software

Deshalb ist jetzt bei den Kulturhauptstadtmachern viel von „Netzwerken“ die Rede, mit einem Augenzwinkern wegen der Fischfang-Tradition der Stadt. Von der Zivilgesellschaft, an der man arbeiten will, damit sie so „integriert, offen, vernetzt und gebildet“ ist, wie es nötig wäre zum Sieg über die Gewalt. „Diese Gesellschaft“, sagt Kulturhauptstadt-Chef Berástegui philosophierend, „ist ja kein Ort, an dem man ankommt, sondern ein Weg, der kein Ende hat.“ Und dass man bei der Bewerbung, bei der Programmierung der Kulturhauptstadt viel gelernt habe von Essen und dem Ruhrgebiet, sagt Berástegui auch: „Es geht für uns hier nicht darum, möglichst viel neue kulturelle Hardware zu schaffen, es geht um einen neue Software, um ein gesellschaftspolitisches Modell!“

Wie das Ruhrgebiet bekommt nämlich auch San Sebastián von auswärts mit leicht vorwurfsvollem Unterton oft zu hören: „Ihr habt doch schon alles!“ In der Tat: Die Stadt ist Sitz des baskischen Sinfonieorchesters, sie hat jedes Jahr im September ein glamouröses Filmfestival, ein absolut hörenswertes Jazzfestival, mit La Concha einen Traumstrand und an seinem westlichen Ende mit den „Windkämmen“ von Eduardo Chillida eines der bekanntesten Werke des Mannes, der die „Berlin“-Skulptur vor dem Bundeskanzleramt entworfen hat (der große Chillida-Museumspark am südlichen Stadtrand in Hernani ist allerdings seit 2010 wegen der Finanzkrise geschlossen). Das 2011 sanierte und spektakulär modern erweiterte San Telmo Museum erlaubt einen Schnelldurchgang durch die Geschichte des Baskenlandes von den frühesten Ausgrabungen über Folklore und Alltagsleben bis hin zur Jetztzeit.

Selbst das Fest, das jetzt das Kulturhauptstadt-Jahr offiziell eröffnen wird, feiern sie jedes Jahr: 20. Januar, dem Tag des Heiligen Sebastian, gibt es stets die „Tamborrada“, das Trommelfest. Diesmal soll es ganz Europa hören.