Die Bücher des Rechtsmediziners Michael Tsokos beruhen auf echten Fällen: True-Crime-Thriller heißen solche Fälle aus der Wirklichkeit. „Zerschunden“ macht Jagd auf einen Flughafenmörder.
Der Tod ist sein täglicher Begleiter. Michael Tsokos (48) aus Kiel leitet die Rechtsmedizin der Berliner Charité, und der Forensiker kann auch nach Dienstende nicht von den Fällen lassen, die seinen Obduktionstisch füllen. Entweder leben sie in Sachbüchern weiter (zuletzt: „Deutschland misshandelt seine Kinder“) – oder Tsokos gießt sie in eine dramatische Form.
Jagd auf den Flughafenmörder
True-Crime-Thriller heißen solche Fälle aus der Wirklichkeit, und im neuen „Zerschunden“ heftet Tsokos den Rechtsmediziner Frank Abel an die Fersen eines Flughafenmörders. Der Psychopath tötet Frauen im Umfeld europäischer Airports und hinterlässt mysteriöse Botschaften auf den Leichen.
Den Fall hat es wirklich gegeben, dass Abel ihn anstelle der Polizei löst, ist dagegen Tsokos’ Fantasie entsprungen. „Illegal würde ich nie vorgehen“, sagt er. Dazu zählt, in Garagen und Wohnungen einzusteigen oder Verdächtige zu jagen. Eine Ausnahme würde der schreibende Mediziner machen: „Wenn ich einem Freund helfen müsste, der unschuldig im Gefängnis sitzt, würde ich wie Abel reagieren.“
Damit ist der Plot-Ansatz beschrieben. Abels Freund Moewig muss dringend auf freien Fuß, weil seine Tochter im Sterben liegt und ihren Vater noch einmal sehen will. Daraus bezieht „Zerschunden“ die Dramatik, denn Tsokos verrät dem Leser früh, dass der Falsche einsitzt. Verschärfend kommt hinzu, dass Abel eine selbst erstellte DNA-Analyse entkräften muss. Moewigs Profil ähnelt dem des Täters.
„Im Beruf bin ich auch nicht immer damit einverstanden, wie meine Ergebnisse interpretiert werden“, sagt Michael Tsokos. Es ging um Suizid. „Möglich. Bloß gaben meine Befunde das nicht eindeutig her.“ Also ließ er seine Sicht im Protokoll vermerken, Berufsethos.
Seinen Professorenstuhl an der Charité würde er nicht gegen das Leben als Autor eintauschen. „Ich bekomme die Fälle für meine Bücher ja frei Haus geliefert, das könnte ich mir am Schreibtisch nicht ausdenken.“ Er könne massentaugliche Fälle erkennen; zum Schreiben aber zieht er dann Co-Autoren wie Sebastian Fitzek oder jetzt Andreas Gößling hinzu.
Tsokos hat in Thailand Zehntausende Tsunami-Opfer gesehen; das Bundeskriminalamt rief ihn an Massengräbern im Kosovo zu Hilfe. Tote schrecken ihn nicht mehr. Wenn es ginge, würde er sogar seinen eigenen Leichnam obduzieren: „Mein Herz in der Hand zu halten, das mich mein Leben lang begleitet hat, wäre unglaublich spannend.“
Michael Tsokos/Andreas Gößling: Zerschunden. True-Crime-Thriller. Knaur, 432 S., 14,99 €