Duisburg. . Das Lehmbruck-Museum sowie zehn weitere RuhrKunstMuseen bieten Führungen für Menschen mit Demenz an. Sie suchen noch ehrenamtliche Helfer.

„Bitte anfassen!“ – Für Menschen mit Demenz muss das Museum neue Schilder prägen lassen. Denn sie erfahren Kunst am besten mit allen Sinnen. Deshalb dürfen sie im Lehmbruck-Museum auch die kostbaren Bronzeskulpturen anfassen, allerdings nur einige.

Drei Jahre lang hat das Duisburger Museum gemeinsam mit Wissenschaftlern der Medical School in Hamburg geforscht, die sich mit Gesundheitsförderung, Kunst und Wahrnehmungsforschung auseinandersetzen. Das Ergebnis: dementiell Erkrankte können gut an Kunst herangeführt werden, wenn sie diese mit allen Sinnen erfahren und wenn Kunstvermittler auch Gesicht und Hände sprechen lassen. Diese Folgerungen fließen nun ruhrgebietsweit in einen speziellen Leitfaden für Führungen von Demenzpatienten in allen Ruhrkunstmuseen mit ein.

„Das ist ja Musik!“

„Menschen mit Demenz stellen fest, dass ein Museum etwas sehr Schönes ist, sie zeigen Interesse und nehmen Anteil“, weiß Elsa Cremers (74) von den speziellen Führungen, die sie ehrenamtlich unterstützt. Ihr geht das Herz dabei auf. „Das ist ja Musik!“, habe ein Besucher, der die ganze Führung über geschwiegen habe, plötzlich beim Anblick des Kunstwerks „Konterrelief“ von Wladimir Baranow-Rossiné zu ihr gesagt – und wollte sie zum Tanzen auffordern. Auf dem Relief ist ein aus Fundstücken montierter Musiker zu erkennen.

„Bis vor einiger Zeit galten solche Führungen eher als schräg. Öffentliche Angebote wurden nicht so gut angenommen“, sagt Sybille Kastner, Kunstvermittlerin am Lehmbruck-Museum. Das habe sich nun aber gewandelt. Führungen für Demenzpatienten sind mittlerweile sehr gefragt, und die Kunstvermittler der RuhrKunstMuseen werden nun nach einem Konzept geschult, das als Ergebnis des Forschungsprojektes entwickelt wurde. Ehrenamtliche Assistenten sind während dieser Führungen Begleiter, übernehmen eine Vorbild-Funktion und geben Hilfestellungen, zeigen etwa den Weg zur Toilette.

Plötzlich sind sie ganz wach

Auch die eigene Hilflosigkeit, die viele mit Blick auf erkrankte Angehörige, Nachbarn oder Freunde empfänden, könnte überwunden werden. Elsa Cremers ist seit einem Jahr engagierte Helferin. Ihr Mann ist von der Krankheit betroffen: „Er geht bei den Führungen auf. Viele, die herkommen, waren auch noch nie in einem Museum und finden das total toll.“ Mit kleinen Instrumenten dürfen die Besucher Musik machen und sind dann plötzlich ganz wach. Sie ertasten, was sich etwa unter dem weißen Leintuch im Untergeschoss des Lehmbruck-Museums befindet – eine große Bronze-Skulptur von Käthe Kollwitz, die „Mutter mit zwei Kindern“ von 1925 – und dürfen raten, was sie da fühlen. Affen oder andere Tiere ertasten die Teilnehmer und überraschen die Kunstvermittler mit immer neuen Ideen. Wird das Geheimnis dann gelüftet, „sind die meisten Leute total gerührt“, berichtet Museumsdirektorin Söke Dinkla.

Nicht alles darf angefasst werden

Bei vielen anderen Kunstwerken ist das Anfassen allerdings nicht erlaubt. Daran müssen die Kunstvermittler die Demenzerkrankten auch häufiger erinnern. Aber auch diese unberührbaren Objekte bringen sie den Besuchern auf eine besonders sinnliche Art näher: „Mit Körpersprache erklären wir die Skulpturen oder umschreiben die Farbgebungen mit Duftnoten oder Temperaturen“, so Kastner. Den meisten Freiraum bieten abstrakte Kunstwerke.

Ob die im Museum gewonnenen positiven Eindrücke nachhaltig im Kopf verankert bleiben, ist ungewiss: „Manche Menschen erinnern sich sehr wohl daran, manche nicht“. Oft seien aber auch ruhige Gäste, die während der ganzen Führung kein Wort gesagt hätten, die mit den lebhaftesten Erinnerungen, das wisse man aus Befragungen nach den Führungen. „Wir werden hier permanent mit unseren eigenen Klischees über die Krankheit konfrontiert“, so Kastner.

80 Ehrenamtler gesucht

Die Ruhrkunstmuseen suchen für ihre Demenzführungen freiwillig Engagierte, die diese begleiten möchten. Es sind keine Fachkenntnisse nötig.

Alle Teilnehmer erhalten im Januar 2016 eine Schulung. Bei Interesse bis 10. Januar an Sybille Kastner vom Lehmbruck Museum (Tel: 0203-28 32 195) oder sybille.kastner@lehmbruckmuseum.de wenden.