Bochum.. Die neue Intendantin Romy Schmidt steht für den Generationswechsel. Ein erster, starker Aufschlag gelang ihr mit einer frechen „Peer-Gynt“-Aneignung.
Und dann waren sie plötzlich Helden! – Der Wachwechsel am Prinz-Regent-Theater (PRT) kann einen an David Bowies ‘77er-Hit erinnern; damals sang der Brite davon, „Held für einen Tag“ zu sein; aber wenn es nach Romy Schmidt geht, kann das Heldenleben ruhig etwas länger dauern. Die neue Direktorin von Bochums eingesessenem Privattheater hat „Revier für Held*innen“ jedenfalls als Motto für ihre Premieren-Spielzeit proklamiert. Mit einer frechen „Peer-Gynt“-Aneignung erfolgte am Wochenende der starke erste Aufschlag.
Reichlich Staub aufgewirbelt
Mehr als 20 Jahre führte Sibylle Broll-Pape das Prinz-Regent-Theater: Im Sommer hat sich die 59-Jährige als Intendantin ans E.T.A.-Hoffmann-Theater nach Bamberg verändert. Romy Schmidt, bis dato Hausregisseurin am PRT, rückte auf die Poleposition vor. Die aus Ostdeutschland stammende Theatermacherin, die schon länger im Ruhrpott lebt, ist gerade mal 35 und steht damit auch für den Generationswechsel. Dass sie tüchtig Staub aufwirbeln würde im stellenweise eingefahrenen PRT-Betrieb, war abzusehen. Dass es gleich so reichlich wirbeln würde, hat manchen dann doch überrascht.
Nicht nur dass Schmidts Auftakt-Spielplan als kaleidoskopische Mischung aus Bühne, Musikabend, DJ-Konzert, Lesung und Party daherkommt. Auch das Theater selbst hat Luft geschnappt. Das schlichte Foyer mutierte zur flippigen „Prinz-Bar“, Logo und Internetauftritt bekamen einen frischen Look verpasst, und auch personell hat sich allerhand getan. Jüngere Schauspieler wie Helge Salnikau, Corinna Pohlmann, Ismail Deniz, Marla Kiefer und Johanna Wieking haben übernommen, auch das Leitungsteam präsentiert mit Frank Weiß (Dramaturgie) und Sandra Schuck (Bühne, Kostüme) neue Namen und neue ästhetische Handschriften.
Alles anders also in Bochum-Weitmar, und das war beim Saisonauftakt am Wochenende sogleich zu spüren. Geboten wurde Ibsens Klassiker „Peer Gynt“, den Romy Schmidt respektlos und doch mit Respekt vor der Dichtung auf die enge Bühne des Zimmertheaters hievte. Die Aufführung kommt mit drei Schauspielern aus, die Abenteuerkulissen von der Trollhöhle bis zur Wüstenoase fehlen völlig, und doch werden die drei Stunden, die dieser „Peer“ dauert, nie lang. Schmidts Inszenierung ist kitschig, vulgär, musikalisch, verspielt, ernsthaft, theaterwirksam – und immer unterhaltsam. Und in manchen Momenten der surrealen Filmästhetik eines David Lynch sehr nahe. Neben Helge Salnikau (Peer) und Ismail Deniz (Knopfgießer) überzeugt vor allem die junge Corinna Pohlmann. Sie gibt Peers Mutter Aase ebenso stimmig wie die geile Trolltochter und Peers geliebte Solvejg. Eine Entdeckung!
„Tschick“ und „Die Verwandlung“ bleiben
Weiter im PRT-Programm bleiben u.a. die von Romy Schmidt inszenierten Dauerbrenner „Tschick“ (nach Wolfgang Herrndorf) und „Die Verwandlung“ (frei nach Kafka), als nächste Premiere steht am 16. Oktober mit Orwells „Farm der Tiere“ eine Kooperation mit der Musikschule und den Bochumer Symphonikern an.
Apropos Herrndorf: Das in „Tschick“ eingeführte Mädchen Lisa steht im Fokus des im Nachlass des Autors gefundenen Romans „Bilder einer großen Liebe“, der als Theaterfassung (Regie: Frank Weiß) im März 2016 zu sehen sein wird. Und mit „Bilge Nathan“, einer multikulturellen Aneignung des Lessing-Klassikers „Nathan der Weise“, will das PRT-Team ab November durch Bochums Schulen touren. Zudem soll es unter dem Motto „Grubengold“ ein Langzeitprojekt mit Flüchtlingen geben, außerdem eine Marathonlesung von Joyces Jahrhundertwerk „Ulysses“ und auch eine Theaterfassung des Romans „Sommerfest“ des Bochumer Erfolgsautors Frank Goosen, Romy Schmidt inszeniert selbst.
Die Zeit für „Helden“ schreitet also zügig voran, Herausforderungen warten massig. Hey ho, let’s go!