Duisburg. . Sein 100. Geburtstag lässt uns an Rudolf Schock erinnern. Manche Kritik hat den telegenen Tenor aus Wanheimerort getroffen, aber er blieb ein Lieblingssänger des deutschen Publikums.
Es beginnt diese Karriere in den Farben rührender Courths-Mahlerei – aber wahr ist die Geschichte doch: Ein Junge aus kleinsten Verhältnissen wächst zwischen Fabriken auf. Der Vater stirbt, als sein Sohn sechs Jahre alt ist. Zurück bleiben fünf Kinder und eine Mutter, die in der Oper (!) putzt. Am Wochenende singt das Sextett – eine Art Trapp-Familie vom Rhein – in Gasthaussälen, um ein bisschen was zu verdienen, Operetten, Volkslieder, Schlager auch.
„Ich wär’ mir komisch vorgekommen, wenn ich das später verleugnet hätte“, hat Rudolf Schock, geboren am 4. September 1915 in Wanheimerort, einmal gesagt. Er, längst tenorale Berühmtheit, meinte damit seine Liebe zur leichten Muse. Puristen haben ihn oft dafür geschmäht. Wie soll man Lohengrin sein und tags drauf „Auf, auf zum lustigen Jagen“ schmettern?
Schon als Kind trat er auf
Aber Schock, den auch die Kollegen in Salzburg, Wien oder Berlin, immer bloß Rudi nannten, tat das einfach. „Ich konnte gar nicht anders“, hat er gesagt, als Liebeserklärung an die Kindertage, als er aus voller Kehle sang und aus noch vollerem Herzen. Es wurde aus diesem Duisburger Knaben ein unverwechselbarer Sänger. Sicher kein Gigli, kein Wunderlich oder Bergonzi, aber einer, der sich die Herzen des deutschen Publikums ersang wie kein anderer klassischer Künstler nach dem Krieg.
Woran das lag? Diesen Rudolf Schock, zeitlebens ohne Manager und – nebenbei – ohne akademische Gesangsausbildung (er hatte Friseur gelernt!), hat das Publikum verehrt, weil es ihn als nahbar empfunden hat. Und ihn geliebt, weil er, der sich aus dem Duisburger Opernchor nach oben gesungen hatte, scheint’s mühelos Naturbursche und Freischütz in einem war, Don Ottavio und Zirkuskind zugleich.
Zirkusnummer ohne Stuntman
Ja, Zirkus. Rudolf Schock dürfte in der Operngeschichte der einzige Tenor sein, der eine heikle Trapeznummer wagte u n d ohne Double meisterte. Zu sehen war der Salto 1954 in „König der Manege“. Der Mann liebte solche Dinge: etwas zu schaffen, „in Form zu sein“, auch später, als Gleichaltrige längst Einlagen in den Schuhen trugen. Seine Kollegin Edda Moser erinnert sich an eine Wiener Silvester-Fledermaus mit Showeinlage: Rudis größte Sorge sei es gewesen, den Handstand nicht mehr hinzukriegen...
Da blitzte etwas ewig Junges, fast Naives auf, ein sportlich-verspielter Ehrgeiz, ein verschmitztes Draufgängertum, das ganz gewiss zur enormen und enorm dauerhaften Popularität des Rudolf Schock beigetragen hat. Nicht immer kann es der Gesang allein gewesen sein. Für die große Oper gilt die Zeit bis 1965 als seine beste. Covent Garden lud ihn 1948 als ersten Deutschen nach dem Krieg ein. Schock räumte später ein, eine Weile „einfach zu viel gesungen“ zu haben. Schon 1969 erlitt er einen Infarkt – und kehrte zum Gesang zurück. 1986 starb er unerwartet an Herzversagen, vier Tage nach einem Live-Konzert.
Fernsehen als Karriere-Säule
Die Schallplatte und das Fernsehen waren, wie im Falle Anneliese Rothenbergers, die großen Segnungen einer Karriere außerhalb der Bühne. Ein Kritiker befand: „Er dankte nicht ab, er wechselte nur den Thron“. Gegner aber sahen im telegenen Tenor den Verrat am seriösen Fach, fanden dass Schocks Stimme immer öfter knödelte, gar kitschte. Die Deutschen aber hatten ihren Wohnzimmer-Caruso von Herzen gern. Natürlich gab es auch eine Weihnachtsplatte mit ihm.
Über Niederlagen, private (seine Tochter Isolde starb an Krebs) wie berufliche (Buhs im strengen Wien), sprach Schock nie viel. Und er, der tatsächlich Einzigartige, der seine Grenzen wohl kannte, war klug genug, sich nicht zu vergleichen. In seiner Autobiografie „Ach, ich hab’ in meinem Herzen“, nennt er keinen anderen Tenor seiner Generation beim Namen.