Bochum. Der neue Ruhrtriennale-Intendant Johan Simons will sich mit gesellschaftlichen Problemen beschäftigen, “die man vielleicht lieber nicht sehen möchte“.

Der neue Ruhrtriennale-Intendant Johan Simons möchte die Menschen zum Nachdenken bringen - auch über die Schattenseiten des Lebens. Schon bei der Eröffnungsinszenierung des Gesellschaftsdramas "Accattone" von Pier Paolo Pasolini wolle er zeigen, was hoffnungslose Arbeitslosigkeit mit den Menschen macht, sagt Simons im Interview der Deutschen Presse-Agentur. Ein Festival, "bei dem nur die Sonne scheint", ist nichts für den 68-jährigen Niederländer. Er bezeichnet sich als politischen Menschen. Trotzdem hofft er auf Sonnenschein bei der Ruhrtriennale, die am 14. August beginnt. Denn die brauche man, um die Stätten zu bespielen.

Sind Sie schon im Ruhrgebiet heimisch geworden?

Johan Simons: Das war nicht so schwierig, weil ich aus den Niederlanden komme und in der Nähe von Nimwegen wohne. Außerdem war ich, als ich auf der Schauspielschule war, viel in Bochum, und ich habe unter dem ersten Intendanten der Ruhrtriennale, Gerard Mortier, schon viel gemacht. Dann hat man jedenfalls eine Idee, wie das Ruhrgebiet funktioniert. Nur eine Idee - ganz genau dahinter kommt man auch nicht.

Sie sind bekennender Fußballfan, und auch im Ruhrgebiet spielt Fußball eine große Rolle. Was ist das Trennende oder auch das Verbindende von Kunst und Fußball?

Simons: Das Verbindende ist, dass es beides live ist. Das Trennende ist, dass Fußball zwar zur Kultur gehört wie Kunst auch. Aber Kunst hat eine Sonderposition, sie schwebt objektiv über der Kultur und liefert Kommentare zum Zustand der Gesellschaft. Trennend ist natürlich auch, dass Fußball eine körperliche Begeisterung bringt und Kunst mehr eine geistige.

Fußball ist sehr direkt und Kunst ist meistens sehr indirekt. Kunst funktioniert mehr über Reflexion und Fußball ist: "Man tut es einfach".

Zur Eröffnung inszenieren Sie "Accattone", ein Gesellschaftsdrama von Pier Paolo Pasolini, in der Kohlenmischhalle der Zeche Lohberg in Dinslaken. Warum ausgerechnet dieser Ort, der erstmals bei der Ruhrtriennale bespielt wird?

Simons: Ich finde es wichtig, nicht jedes Jahr in der Jahrhunderthalle in Bochum zu eröffnen. Es ist inzwischen eine Eventhalle mit toller Infrastruktur, aber es ist nicht mehr die raue Umgebung, die ich gewöhnt bin von meiner Truppe Hollandia, wo man jedes Mal an einem anderen Ort spielt. Die Kohlenmischhalle ist für mich noch unangetastet - und das ganze Gelände hat eine Geschichte. Es liegt neben dem Viertel Lohberg, was ich auch sehr interessant finde.

Warum passt gerade das Eröffnungsstück gut nach Dinslaken?

Simons: Pasolinis Motiv ist die Wüste. Wenn man seine Filme sieht, dann sieht man oft Figuren, die sich in einer Wüste bewegen. Und man kann zwar viel behaupten, aber die Kohlenmischhalle ist natürlich auch eine Art Wüste. Und in einer Wüste ist der Mensch sehr klein.

Die Festival-Eröffnung in einer ehemaligen Industriehalle steht ja - allein vom Bild her - im großen Gegensatz zu den schicken roten Teppichen, die zu solchen Anlässen vor anderen Häusern ausgerollt werden...

Simons: Roter Teppich ist eine andere Welt, das gehört zu den Musicals. Dagegen habe ich auch nichts. Aber es ist nicht mein Job, Musicals zu machen.

Unser Job ist es, Leute zum Nachdenken zu bringen, Dinge zu thematisieren, die man vielleicht lieber nicht sehen möchte. Die Kritik, die Reflexion ist meine Aufgabe. Die Orte sind das Besondere an der Ruhrtriennale.

Sie wollen zum Nachdenken bringen, Kritik üben. Was meinen Sie damit konkret?

Simons: Die Leute, die meistens im Publikum sitzen, sind natürlich bürgerlich, die Bourgeoisie. Aber vielleicht werden sie empfänglich für die Themen, die dort gespielt werden. Und wenn man dann ins Auto steigt und abends nach der Vorstellung nach Hause fährt, dann sieht man das Viertel Dinslaken-Lohberg, und jeder weiß, was das bedeutet...

Sie meinen die hohe Arbeitslosigkeit und die vielen sozialen Probleme. In die Schlagzeilen geriet der Stadtteil ja auch durch die "Lohberger Brigade", eine Gruppe islamistischer Kämpfer...

Simons: Arbeitslosigkeit ist im Leben von vielen Leuten ein Riesenthema, und es gibt einen immer größer werdenden Unterschied zwischen Arm und Reich. Die meisten Leute holen ihre Identität und ihren Selbstwert aus der Arbeit. Und da muss man sich fragen: Ist es richtig, dass wir darüber unsere Identität beziehen? Und müssen wir nicht dafür sorgen, dass mehr Leute eine Perspektive haben auf Arbeit?

Das ist auch Thema des Eröffnungsstückes. Es gibt Leute, die haben keine Hoffnung auf Verbesserung, das ist das Subproletariat von dem Pasolini spricht. Darin steckt natürlich ein revolutionäres Potenzial. Wir tun nichts mit diesem revolutionären Potenzial - aber Extremisten füllen diese Lücke und sorgen dafür, dass Leute motiviert werden für Ideale, bei denen wir denken - nein danke, lieber nicht. Man kann natürlich auch ein Festival veranstalten, bei dem nur die Sonne scheint. Aber ich bin ein politischer Mensch, also muss ich mich damit beschäftigen.

Trotzdem hoffe ich tatsächlich darauf, dass draußen die Sonne scheint (lacht). Die braucht man, um die Stätten zu bespielen. Aber drinnen muss auch mal etwas anderes behauptet werden. So gut geht es uns als Gesellschaft nicht.

Erst vor kurzem haben Sie endgültig Abschied genommen von München und zu der Gelegenheit gesagt, Sie vermissten das bayerische Frühstück. Haben Sie schon Ersatz gefunden?

Simons: Das bayerische Essen ist unnachahmlich. Ich bin hier noch auf der Suche nach einem guten und gesunden Frühstück. Etwa bayerisches Birchermüesli mit frischen Früchten. Die Bayern können das. (dpa)