Gelsenkirchen. . Eigentlich können Ibrahim und Krystina gut deutsch – aber in den langen Ferien sprechen sie oft die Sprache ihre Eltern. Ein Theater schafft Abhilfe.

Der König hat Kopfschmerzen. Kann man aber auch kriegen: Der Zwerg lacht, die Hexe ist genervt, aber wenn sie viele sind, sind sie alle die. „Der Artikel“, sagt Iris Schappert, „ist eine Herausforderung, wenn man Deutsch lernen soll.“ Nun müssten diese Kinder aus Gelsenkirchen Deutsch eigentlich können, nur haben sie es einige Wochen nicht gebraucht: der „Ferieneffekt“! Weshalb 165 frischgebackene Drittklässler aus 14 Nationen in diesen Tagen im „Sprachcamp“ sind.

Ibrahim hat wieder nur auf Türkisch gelebt in der schulfreien Zeit, Abdullah auf Arabisch und Krystina auf Polnisch; Iris Schappert vom Bildungs-Referat der Stadt ist es sogar „lieber, sie sprechen zuhause gut ihre Muttersprache als fehlerhaftes Deutsch“. Nur kommen die Kinder bald zurück in die Schule mit ihrer „doppelten Halbsprachigkeit“ und dort nicht mehr weiter mit „Isch geh Fußball“. Da müssen Artikel her! Und der Plural, der Imperativ und auch Personalpronomen, jawohl: „Profi-Wörter“ nennen sie die im Sprachcamp; die Schüler werden später stolz drauf sein, so was zu können.

Es gibt jede Menge Sprache zu futtern

Zwei Wochen lang stopfen Pädagogen sie an mehreren Standorten nun voll mit „Sprachfutter“. Am Morgen sind das Buchstaben aus Russisch Brot („Ich will drei!“ – „Du möchtest!“). Danach folgt Grammatik („Der Dirigent“ dirigiert, ist das Nomen und hat hinter seinem Verb einen Punkt: „Ptsch“, macht Gitta Plum).

Darunter rühren die Lehrer Wörter wie „Krone“, „Ziege“, „Prinzessin“ und „Räuber“, was man für Märchen eben so braucht, die diese Kinder allenfalls von Disney kennen. Und nachmittags spielen dieselben Wörter plötzlich Theater – wo man ganz laut und deutlich sprechen muss.

„Polisist“ oder „Hekse“, da ist die Frage

Noch haben die Stadtmusikanten ein Stapelproblem, den Jungs ist es egal, ob sie „Polisist“ oder „Hekse“ spielen, und auf der Probebühne des Consol Theaters scheitert eine Übung zur Teambildung: „Weil wir zu viele Mädchen sind.“ Cilan ist indes schon mal eine überzeugende Katze, Mirac hüpft bellend durch den Raum, und Esmanur wurde feierlich zur Polizistin ernannt („Wir sind da fortschrittlich“, sagt die Betreuerin).

Bei vier kleinen Hexen führt das zu Kicheralarm, obwohl sie soeben das Gegenteil gesungen haben: „Lachen verboten, weg mit dem Spaß!“

Achtung, Adjektiv: „Bockig“ istnicht dasselbe wie „null Bock“

Auf dem Dachboden sucht eine Theaterpädagogin aus einem Chor ohrenbetäubend meckernder „Ziegen“ ein ängstliches Geißlein, ein cooles, ein zappeliges. . ., sieben natürlich, insgesamt. Wobei man ganz unauffällig lernen kann, was ein Adjektiv ist, dass „Geißlein“ nicht verwandt ist mit dem „Geist“ und „bockig“ nicht dasselbe wie „null Bock“. Ach ja, und dass schlafende Zicklein nicht treten, schon gar nicht, wenn sie eigentlich Menschenkinder sind.

Ganz erstaunt war diese Woche ein kleines Mädchen, dass es bei all’ dieser Freude etwas lernen soll. „Ist doch gar nicht wie in der Schule“, staunte es, und Pädagogin Urte Hardering sagt: „Es ist Lernen, Lernen und Lernen, aber die Kinder merken es nicht.“ Dabei geht es nicht einmal „nur“ um die Sprache, sondern auch um Regel- und Sozialverhalten oder die Kommunikation untereinander.

Ein „Sprachbad“, das allen gut tut

Wacher, konzentrierter, selbstbewusster seien die Drittklässler nach diesem „Sprachbad“, befanden Lehrer nach den Camps vergangener Jahre: Sie sahen Schüler wieder, die sich beteiligten, die nachfragten, die in der Klasse ein bisschen protzten mit ihren „Profiwörtern“. Von einer „gewissen Haltbarkeit“ spricht auch Bünyamin Demir und davon, wie sinnvoll es sei, die Kinder über ganze Tage zu „strukturieren: ohne Fernseher, ohne Computer, ohne Handys“. Ganz ehrlich ist es ja so, wie Iris Schappert sagt: „Was wir hier machen, könnten viele deutsche Kinder auch gebrauchen.“

Das letzte Wort übrigens hat bei der großen Aufführung am nächsten Freitag der König. Es wird sogar ein ganzer Satz sein. Auf Deutsch. Und mit hörbarem Schluss-Punkt.