Bayreuth. Tristan und Isolde: Publikum bejubelt bei der Premiere herausragende Solisten.

Fliegende Isolden ­begleiten Tristan in seinem Todesdelirium. Katharina Wagner spart bei ihrer mit Spannung erwarteten Inszenierung auf dem Grünen Hügel nicht an der Bühnentechnik. Und doch ist ihr „Tristan“ eine leise Tragödie, ein Nachtstück, das die Grenzen zwischen Realität und Wahn, Verpflichtung und ­Selbstbestimmung auslotet. Der Liebestod fällt allerdings aus. Isolde hat das Gift zu früh verschüttet. Eine Entscheidung für die Freiheit, die sie am Ende an König Marke fesseln wird. Es sind solche klugen Beobachtungen, die den neuen Bayreuther „Tristan“ zu einer spannenden Interpretation werden lassen.

Freundliche Bravos

Für die Festspiel-Leiterin und ihr Team gibt es freundliche Bravos, eine gute Erfahrung, hatten die Kritiker der jungen Hügel-Chefin ihre Messer doch im Vorfeld bereits kräftig gewetzt. Das Publikum bejubelte auch die herausragenden Solisten. Nur Dirigent Christian Thielemann und Isolde Evelyn Herlitzius mussten neben Beifall die gefürchteten Bayreuther Buhrufe einstecken.

In Richard Wagners „Tristan“ funktionieren die Konflikte überkreuz. Es geht um einen doppelten Treuebruch. Isolde hat sich in den Mörder ihres Verlobten verliebt und soll nun aus politischen Gründen den alten König Marke heiraten. Ausgerechnet Tristan muss sie zu ihm bringen. Aus Protest will sie sich und den Geliebten umbringen. Doch das geht nach hinten los, weil die Zofe Brangäne das Gift mit einem Liebestrank vertauscht. Soweit die Handlung, wie sie im Buche steht. Bei Katharina Wagner ist die Isolde hingegen eine echte Hexenprinzessin, die sich auch ohne chemische Beihilfe für ihren Ritter entscheidet. Beide schütten Hand in Hand das Fläschchen aus und fallen sich in die Arme. So nahe werden sich die berühmtesten Liebenden der Musikgeschichte in der ganzen Oper nie wieder kommen.

Nur wenig Aktion

Der „Tristan“ ist ein Kammerspiel. Viel Aktion gibt es nicht. Das setzt Regisseure unter Druck. Katharina Wagner und ihre Bühnenbildner Frank Philipp Schlößmann sowie Matthias Lippert entscheiden sich daher dafür, den Text in richtig starke Bilder zu übersetzen. Der erste Akt spielt im Bauch einer Fähre, die keine Innenwände mehr hat und daher nur aus dem Skelett eines monströsen Treppenlabyrinths besteht. Dessen Stufen führen nach draußen, aber sie bringen die Liebenden nur mit Mühe zusammen, und manchmal klappen sie auch zur Unzeit einfach weg. Der zweite Akt ist in einem Gefängnis angesiedelt. König Marke und seine Mannen beobachten von dessen Mauer, wie das Paar über einen Doppelselbstmord phantasiert. Nun verweigern halbrunde Steigeisen, die abbrechen, wenn man fliehen will, jedes Entkommen. Das aus Stahlkreisen komponierte Interieur steht symbolisch für den Brautkranz, für den Ehering und für die völlige Ausweglosigkeit der Situation. Es ist übrigens der dunkelste Tristan aller Zeiten. Nur mit König Marke bricht die trostlose Helligkeit der Realität in die Liebeswünsche ein. Und schnell wird klar, dass Träume manchmal eine Gnade sein können.

Flotte Tempi

Christian Thielemann, neuer und erster Musikdirektor der Bayreuther Festspiele, setzt das ­Nachtstück-Konzept in seinem Dirigat betörend um. Die Tempi sind flott, manchmal sogar auf Kosten des Pulses etwas zu rasch. Aber auch Thielemann lässt die leisen Töne glühen, und wie viel rauschhafte Farben und welche Leuchtkraft­ ­erhält die Nacht damit! Die Musik webt voller Herzklopfen ein ­Seelengemälde, das an Aktualität nichts zu wünschen übrig lässt und mit jeder Note beweist, wie modern diese Partitur immer noch ist.

Stephen Gould ist ein großartiger Tristan, ein Mann in einer Extremsituation, der sich nicht scheut, vom fast tonlosen Sprechen bis zum großen glühenden Ausbruch alle Facetten des Singens ­einzusetzen. Evelyn Herlitzius gestaltet die Isolde als Naturgewalt, die sich die leisen Töne bis ganz zum Schluss beim „Mild und leise“ aufspart. Der Attendorner Bass Georg ­Zeppenfeld ist ein sensationeller König Marke, dessen stets lyrischer Grundton die kalte Bösartigkeit des Charakters noch hervorhebt.

Knast-Scheinwerfer beleuchten das Liebesduett in „Sink hernieder, Nacht der Liebe“. Doch Tristan hat extra Leuchtsterne aus Plastik mitgebracht. Damit und mit einer Decke versuchen die Liebenden, sich einen geschützten Raum zu bauen. Das ist nur einer von zahlreichen Momenten, in denen dieser „Tristan“ Gänsehaut garantiert.