Stuttgart. In Stuttgart sitzt ein Kunstfälscher vor Gericht, der mehr als 1000 Giacometti-Skulpturen täuschend echt nachempfunden hat - nur 500 Unikate gibt es.

Jetzt also noch der vermeintliche Haupttäter selbst: Während seine Helfer längst im Gefängnis sitzen, steht von Mittwoch (1.7.) an der mutmaßliche Kunstfälscher in Stuttgart vor Gericht. Der 56-Jährige, lange in Thailand untergetaucht, soll weit mehr als 1000 Skulpturen von Alberto Giacometti (1901-1966) gefälscht haben. Die Plagiate der Werke des teuersten Bildhauers der Welt wurden in Deutschland für Millionen an vermögende Kunstsammler verkauft. Experten rücken den 56-Jährigen in die Nähe des zu sechs Jahren Haft verurteilten "Fälscherfürsten" Wolfgang Beltracchi.

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Gegen seine Helfer, die mit Hilfe einer atemberaubenden Story mit den falschen Skulpturen handelten, verhängte das Stuttgarter Landgericht bereits empfindliche Haftstrafen. Gut neun Jahre bekam ein Mann, der sich stets als "Reichsgraf von Waldstein" und Freund von Alberto Giacomettis Bruder Diego ausgab.

Plagiate mit Legende

Vergleichbar mit den großen Fälschungsskandalen sei der Fall auch wegen des Versuchs, einen glaubwürdigen Kontext für die Fälschungen zu schaffen, sagt der Heidelberger Kunsthistoriker Henry Keazor. So erzählte der "Reichsgraf" seinen Kunden, die Skulpturen stammten aus einem von den Erben Giacomettis geheim gehaltenen Fundus. Zum Beweis der Echtheit und der Legende legte er freilich ebenfalls gefälschte Echtheitszertifikate sowie das Buch "Diegos Rache" vor.

Gestrickt haben soll sich die fantasievolle Legende ein Mainzer Antiquitätenhändler, der vom Landgericht Stuttgart zu gut sieben Jahren Haft verurteilt wurde. Es ist ein Kriminalfall ohne Beispiel: Die Bande fliegt auf, als 2009 einem verdeckten Ermittler des Landeskriminalamts Baden-Württemberg gefälschte Skulpturen zu einem Kaufpreis von 1,3 Millionen Euro angeboten werden. In Mainz wird kurz drauf ein geheimes Lager mit rund 1000 gefälschten und wertlosen Bronzen ausgehoben: Metallschrott. Die Skulpturen tragen die für Giacometti typischen Signaturen und ebenfalls gefälschte Stempel seiner Gießwerkstätten.

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Laut Anklage geht es um eine Betrugssumme von mehr als acht Millionen Euro. Zudem soll die Bande versucht haben, "total gefälschte Skulpturen" für über 50 Millionen Euro zu verkaufen.

Experte: Fälschungen verzerren die Kunstgeschichte

Neun Jahre Haft für den dubiosen "Reichsgrafen", sieben für den gewieften Kunsthändler aus Mainz und drei Bewährungsstrafen für Mitläufer - doch wie werden die Stuttgarter Richter jetzt den mutmaßlichen Fälscher selbst verurteilen? Der Angeklagte wurde laut Staatsanwaltschaft Stuttgart im Juli 2014 in seiner Heimat Niederlande festgenommen und an Deutschland übergeben. Fälschungen verzerren und verwässern die Kunstgeschichte, sagt Experte Keazor. Zwischen Globalisierung und Internet-Handel suchten sich die Fälscher immer neue Nischen, in die sie hineinarbeiten können.

Der Bildhauer, Maler und Grafiker Alberto Giacometti ist einer er ganz großen Künstler des 20. Jahrhunderts. Weltberühmt wurde der Schweizer durch seine langgestreckten Figuren-Skulpturen. Seine
Werke bringen bei Auktionen deutlich zweistellige Millionensummen. Sehr bekannt ist die Figur eines schreitenden Mannes, die auch die Rückseite der Schweizer 100-Franken-Banknote ziert. Schätzungen gehen davon, dass Giacometti rund 500 Unikate produziert hat - und eben nicht über 1000 wie der Angeklagte. (dpa)