Essen.. Am Eingang werden schon Ohrstöpsel verteilt: Eine zeitgemäße Inszenierung im Essener Grlllo Theater in der Regie von Thomas Krupa.
Kein Palmenblatt, kein Strandgut, kein Tröpfchen Wasser: Regisseur Thomas Krupa hat Shakespeares „Sturm“ im Schauspiel Essen das märchenhaft-heitere Insel-Idyll ausgetrieben. Statt Orkan und Gewitter bricht auch gleich eine akustische Apokalypse los – am Theater-Eingang werden vorsorglich Ohrstöpsel verteilt. Der schaurig-schöne Ukulele-Song zum Anfang verweht im imposanten Getöse der Soundmaschinerie.
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Tatsächlich ist die Musik, sind die fremden, manchmal unheimlichen Klänge, das Zaubermittel, an das diese schnelle, kühle, hochbewegliche Inszenierung von Thomas Krupa wirklich glaubt. Kein Wunder, dass Luftgeist Ariel wie ein weißgewandete Insel-DJane über die Bühne tobt. Janina Sachau macht daraus eine herrlich-quirlige Mischung aus androgynem Puck, Cyborg und der isländischen Popsirene Björk. Wenn sie ihre sphärischen Gesänge (Musik: Mark Polscher) anstimmt oder zum verzerrten Klanggewitter ausholt, dann verwandelt sich der tiefschwarze Raum (Bühne: Andreas Jander) zu den abstrakten Videografien von Stefano Di Buduo für einen Moment in eine surreale Mischung aus Wunderkammer und Psychotrip.
Gecken von gestern
Von der „neuen Welt“, die zur Entstehungszeit von Shakespeares letztem, 1611 fertig gestelltem Stück gerade auf der Landkarte der westlichen Welt erscheint, zappt Krupa in die Cyberwelt. Ein „Second Life“ frei nach Shakespeare, in dem die Gedanken beim Schalten und Stöpseln der Kabel Gestalt annehmen, während König Alonso (Rezo Tschchikwischwili) und Herzog Gonzalo (Sven Seeburg) nach ihrem Schiffbruch immer noch in Gehröcken und mit Spazierstöcken herumstaksen wie Gecken von Gestern, besorgt um Ämter, Einfluss und Macht.
Das größte Interesse hat Thomas Krupa ohnehin nicht an den Mächtigen. Auch nicht an Jens Wintersteins nobel zurückgenommenem Prospero. Vom eigenen Bruder Antonio einst aus Neapel vertrieben, des Titels beraubt und zum Copperfield der Inselgeister gereift, dirigiert er seine Rache an den Seinigen ohne heißen Zorn, sondern eher im Geist eines abgeklärten Krisenmanagers.
Viel Hirn und ein wenig Herz
In die erste Reihe rücken bei Krupa die Clowns und Wilden. Für Matthias Breitenbach und Leopold von Verschuer als fabelhaftes Diener-Doppel Trinculo und Stephano liegen zwischen Beckett’scher Verlorenheit und bitterkomischer Bodyguard-Parodie manchmal nur ein paar verschmierte Streifen weißer Schminke. Und Axel Holsts Caliban ist ein monstermännlicher Wilder, ein archaisches Alphatier, der von den weißen Männer mit ihren weißen Farbeimern nicht nur eine Lektion in Sachen Unterdrückung und Machtkampf bekommt.
Auf den Spuren von William Shakespeare
Krupa drückt aufs Tempo, was der originale, bisweilen poetisch ausschweifende „Sturm“ ja durchaus vertragen kann. Das schnelle Schauplatz-Pingpong, das die unterschiedlichen Szenen anfangs gegeneinander setzt wie harte Filmschnitte, bleibt aber nur eine Momentaufnahme, bevor es zur Masche ausleiern könnte.
Viel Hirn und gelegentlich ein bisschen wenig Herz bestimmen das Spiel. Aber dafür sind Miranda (Lisan Lantin) und Ferdinand (Philipp Noack) noch da, die im kunstvoll choreografierten Liebes-Tanz zueinander finden. Das Schlusswort hat Prosperos Tochter, die noch zuversichtlich in eine schöne neue Multikulti-Welt schauen darf. In das Gütige, Verzeihende, Großzügige der Reichen und Mächtigen setzt Krupas Inszenierung indes nicht allzu große Hoffnung.