Essen. Rarität im Freibeutergewand. Strauss’ selten gespielte „Schweigsame Frau“ setzt Guy Joosten in Szene. Klamottig, aber mit vielen Piraterie-Metaphern.

Haben wir uns nicht immer schon bei dem Gedanken ertappt, Richard Strauss, der sogar ein Skatspiel orchestrieren konnte, wäre der größte aller Filmkomponisten geworden? Und da sitzen wir staunend im Aalto-Theater und sehen: Auf Großleinwand rauschen zu Strauss’ „Potpourri“ Spielbergs weißer Hai und die „Pequod“ des Käptn Ahab vorbei.

Ein entwaffnend charmanter Einstieg. Regisseur Guy Joosten lässt keinen Zweifel daran, wo er „Die Schweigsame Frau“ ankern lässt: an den verwaisten Gestaden jenes alten Seemanns, der zwar Sir Morosus heißt, hier aber die tattrige Spielart jenes bekloppten Jack Sparrow ist, den der „Fluch der Karibik“ seit Jahren millionenschwer durchs Kino schippern lässt.

Mit Walgerippe, Sand und Muschel

Gewiss, wieder einmal (Intendant Mulders hat es in anderthalb Jahren fast zum Markenzeichen gemacht) legt am Essener Hafen selten Gespieltes an: Allenfalls Liebhabern wird „Die schweigsame Frau“ (uraufgeführt 1935) schon mal schöne Augen gemacht haben. In Essen geht das Weib umso handfester ran, die reine Piratenbraut, wenn man so will. Und nicht nur sie: Walgerippe und Schatztruhe, Sand bis an den Orchestergraben und eine Riesenmuschel überm Souffleur. Alles, was Altmeister Johannes Leiacker (Bühne und Kostüme) unseren Augen serviert, ist ein sattes Seestück.

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Das ist der Komödie, die eng werwandt mit „Don Pasquale“ ist, nicht mal aufgenötigt. Sir Morosus hat reichlich Dukaten auf den Weltmeeren eingesackt, nun hockt der Hagestolz am Ufer seiner Erinnerungen und sucht Gesellschaft. Die Hürde: Der Mann hat ein Ohrenproblem, die Holde sollte still sein. Eine Frau, die nicht spricht – uralte Utopie des Patriarchats – kennt natürlich auch diese Komödie nicht. Ist man die schwatzhafte Haushälterin (rassig: Marie-Helen Joël. Hat Morosus sie als Souvenir vom Zuckerhut mitgebracht?) los, droht neues Ungemach. Denn der Neffe (lyrisch begabt, aber in den Höhen gefährdet: Michael Smallwood) reist mit einer abgerissenen Theatertruppe an. Im Gepäck: das Ideal eines sanften Lamms (Julia Bauer, gewitzt zwischen Drama Queen und Soubrette changierend). Natürlich ist alles Falle. Barbier (ein mephistophelischer Glööckler: Martijn Cornet) und Neffe natzen den Greis mit allerhand Leckereien, köstlich etwa Christina Clark als Amy Winehouse mit beschwipsten Brünnhilden-Rufen.

Im Stil der Commedia dell’arte-Tradition

Gelegentlich verrutscht es Joosten zu tuntigem Klamauk. Aufs Ganze aber ist das ein kurzweiliger Abend, animiert, und an die Wurzeln erinnert: Commedia dell’arte.

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Während man Essens extrem klangschön aufspielenden Philharmonikern für Strauss’ üppige Farbpalette einen sanguinischeren Dirigenten wünscht als Martyn Brabbins, wird Franz Hawlata als Morosus gefeiert. Wie der geläuterte Kapitän nach vielen Stürmen des Herzens am Ende die Stille im Parkett sucht, ist ein kostbarer, versöhnlicher Moment: Ein Eremit lichtet die Anker für die Winterreise seines Lebens. Einhelliger Beifall.