Köln. . Das Kölner Museum Ludwig zeigt „Alibis“, eine Retrospektive auf den einst teuersten Maler der Welt. Die Ausstellung ist fast so vielfältig wie Polkes Oeuvre

Er war einfach nicht zu fassen, dieser Sigmar Polke (1941-2010) Ein Kunstfex, der nichts lieber tat als das Gegenteil dessen, was man von ihm erwartete. Ein halbes Jahrhundert lang malte, druckte, ironisierte, collagierte, hintertrieb und hexte der gebürtige Schlesier im Rheinland, in Düsseldorf, auf dem flachen Land in Willich und zuletzt lange in Köln. Und am Ende aber bekam ihn einer natürlich doch zu fassen: der Allesverschlinger, der Widerstandsvergolder Kunstmarkt. Die letzten Jahrzehnte seiner irdischen Existenz war der Mann, der am Anfang seiner Karriere 1963 mit Gerhard Richter den „Kapitalistischen Realismus“ mehr ausgerufen als praktiziert hatte, nicht nur in Köln, sondern auch an der Spitze der teuersten lebenden Künstler zu Hause, gemeinsam mit Gerhard Richter.

Opulente Schau

Doch während der fortlaufend sein Bild als Maler perfektionierte, machte Polke vor keinem Material, vor keiner Technik dies- und jenseits der Kunst halt. Das macht eine Retrospektive, die alle Facetten eines Künstlers berücksichtigen soll, im Fall Polke zu einem beinahe aussichtslosen Unterfangen – aber jene, die heute Abend im Kölner Museum Ludwig eröffnet wird, zu einem sehenswerten Ereignis.

Die opulente Schau, die vom Museum of Modern Art in New York und der Tate Modern in London gemeinsam kuratiert und dort schon zu sehen war, bietet im Ludwig-Museum neben Polke-Klassikern wie dem „Wurstesser“ (1963), Dutzenden Collagen oder den rußvernarbten Glasplatten (1990) auch selten oder noch nie Gesehenes. Zum spektakulär reichhaltigen Leinwand-Angebot gesellt sich eine derartige Vielzahl von Filmen, dass es zumindest für Polke-Fans unabdingbar wird, mindestens doppelt so viel Zeit mitzubringen wie zu anderen Ausstellungen.

Seinen Einstand in der Kunstwelt feierte Polke mit deutscher Pop-Art, die sich als radikales Gegenstück zur US-Variante empfand: Polke malte Alltagskrempel von Keksen bis zu Socken, aber nicht als Überhöhung des Warendesigns, sondern als programmatische Banalisierung der Kunst. Er malte eine „Negerplastik“ (benannt nach einem Aufsatz des Expressionisten Carl Einstein) auf eine Kinderzimmertapete und bald schon seine ersten Rasterbilder, für die er ähnlich berühmt werden sollte wie Warhol für die seinen. Doch Polkes Raster hatten stets einen politischen, mindestens aber ironischen Einschlag: „Ich möchte, dass alle Punkte glücklich sind. Die Punkte sind meine Brüder. Ich bin auch ein Punkt“, schrieb er 1986 in den Katalog zu seinem Pavillon auf der Biennale in Venedig, für den er den Goldenen Löwen gewann.

In Köln, wo man dank einer Schenkung des Kölner Sammlers Ulrich Reininghaus über die größte Kollektion von Polke-Grafik in Europa verfügt, widmet man dem stets zu Kunst-Scherzen aufgelegten Collagisten Polke, der in den 70ern Dutzende Künstler von Katharina Sieverding bis Martin Kippenberger maßgeblich beeinflusst, den größten Raum. Damals agitierte Polke auch in der Untergrund-Szene von Zürich – 2006 hingegen erhielt er den Auftrag, die Kirchenfenster für das Grossmünster der Schweizer Metropole zu gestalten.

Selbstverständlich widmet sich diese Retrospektive auch den experimentierfreudigen 80er- und 90er-Jahren Polkes, als er mit Grafit, Silberoxid, Meteoritenstaub, tyrischem Purpur und riesige Leinwände und optische Trugbilder schafft, die stets mit doppeltem Boden daherkommen. So wie das Gemälde „Die Dinge sehen, wie sie sind“. Die Anweisung ist darauf nur spiegelverkehrt zu lesen.