Leipzig. Der Buchmarkt stagniert, doch es kommen mehr Aussteller zur Leipziger Buchmesse. Trotz Digitalisierung erwartet der Messe-Chef vor allem Papierrascheln.

Die Leipziger Buchmesse legt in diesem Jahr bei den Ausstellern zu - obwohl die Stimmung in der Branche eher verhalten ist. Messe-Direktor Oliver Zille erklärt im dpa-Interview, warum es für die Verlage wichtig ist, sich auf Messen zu zeigen. Um die Zukunft der Buchmesse ist ihm nicht bange.

Wie ist die Stimmung in der Buchbranche in diesem Frühjahr?

Oliver Zille: Es ist schwierig, das mit einem Satz zusammenzufassen. Der Buchmarkt ist stabil, aber insgesamt gibt es keine Zuwächse. Die Buchmesse dagegen wächst. Einzelne Segmente des Marktes entwickeln sich sehr unterschiedlich. Das spiegelt sich jedoch nicht unbedingt 1:1 auf der Messe wider. Zum Beispiel hat 2014 der Sachbuchmarkt stark zugelegt. Und wir sehen auch auf der Buchmesse, dass die Angebote im Sachbuchprogramm stark zunehmen. Das ist ein Trend, den wir über die letzten Jahre beobachten, und nun nochmal ganz stark. Belletristik und Kinderbuch sind dagegen am Markt zur Zeit eher verhalten. Auf der Buchmesse verzeichnen wir hier jedoch auch Zuwächse.

Wie erklären Sie es sich denn, dass die Messe an Ausstellern zulegt in einem bestenfalls stagnierenden Markt?

Zille: Bei den Ausstellern ist es so, dass gerade kleine und mittlere Verlage den direkten Kontakt zum Publikum immer mehr brauchen. Und eine Messe wie Leipzig ist ein probates Mittel, um solche Kundenkontakte herzustellen und für die Programme zu werben. Wir legen ungefähr drei Prozent bei den Gesamtausstellern zu, aber bei den Einzelausstellern, die mit eigenem Stand auf die Messe kommen, sind es sechs Prozent. Für uns heißt das, dass die Aussteller, die nach Leipzig kommen, auch stärker in ihren Auftritt investieren. Für die Konstitution der Leipziger Buchmesse ist das eine sehr wichtige Entwicklung, weil uns das stabiler und auch wirtschaftlich stärker macht.

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Eigentlich kann man sich ja alle Informationen über Bücher aus dem Internet holen. Trotzdem werde für die Aussteller ein Auftritt in Leipzig immer wichtiger. Also ist das Internet keine Konkurrenz für die Leipziger Buchmesse?

Zille: Offensichtlich nicht. Bücher kaufen im Internet oder sich über Bücher informieren - das sind immer noch zwei Paar Schuhe. Die Messe ist in erster Linie ein Ort, wo man sich über Neuerscheinungen informiert, wo man mit Autoren ins Gespräch kommt, wo man mit Verlegern über Programmideen ins Gespräch kommen kann. Ich glaube, der persönliche Austausch hat die Messe immer zu etwas Besonderem gemacht. Da hat die Buchmesse Qualitäten, die das Netz eben nicht hat. Ich bin deswegen sehr optimistisch, dass wir die Begeisterung für die Leipziger Buchmesse und für die Art und Weise, wie hier Literatur präsentiert wird, auch in diesem Jahr wieder erleben werden.

Und wenn Sie auf lange Sicht gucken, 10 oder 15 Jahre, da ist Ihnen auch nicht bange um die Buchmesse?

Zille: Bange ist wirklich nicht die richtige Vokabel. Uns ist natürlich klar, dass wir uns überlegen müssen, wo der Buchmarkt hingeht und wie wir in Zukunft so eine Messe gestalten wollen. Wir sehen ganz klar, dass allen Anbietern eine Hinwendung zum Publikum sehr wichtig ist, dass ein Kontakt zum Leser sehr wichtig ist. Für die Verlage geht es ja nicht nur darum, hier Bücher zu zeigen. Sondern es ist natürlich auch Marktforschung: Was geht denn? Wie tritt der Autor auf? Was machen andere? Ich glaube, dass so eine Plattform, wo Menschen zusammenkommen, auch in Zukunft gebraucht wird.

Behauptet sich das klassische Buch gegen die digitale Revolution?

Zille: Die digitalen Angebote sind ein Bereich, der sich sehr dynamisch entwickelt hat. Nehmen Sie zum Beispiel Leihangebote wie Skoobe, die sich groß auf der Messe präsentieren. Da gibt es neue Flatrates, neue leichtere Zugänge. Ich denke, alles was zur Lesebindung und -findung beiträgt - das muss ans Publikum. Das hat eben auch was mit veränderten Lese- und Buchnutzungsgewohnheiten zu tun, die wir stärkstens im Auge behalten müssen. Trotzdem gehe ich davon aus, dass es erstmal Papierrascheln ist, wenn man die Hallen hineinkommt. Dominant bleibt auf so einer Publikumsmesse bis auf weiteres das Papier. Aber die Angebote im Digitalen wachsen schneller als im Papier.

Ohne das Lesefestival "Leipzig liest" ist die Buchmesse gar nicht denkbar. Wie sind die Anmeldungen in diesem Jahr gelaufen?

Zille: Das Programm ist mehr als stabil. Wir haben wieder 3200 Veranstaltungen und 3000 Teilnehmer. "Leipzig liest" ist für uns ein wichtiges Element, Publikum an die Messe zu binden und ein interessantes Programm zu gestalten. Was für uns als Messe aber mindestens genau so wichtig ist, ist, dass es für die Verlage eine Möglichkeit ist, Autoren an sich zu binden. Wenn es dem Autor auf der Messe gut geht, geht es dem Verlag gut - und dann geht es uns gut. Das wird ein sehr guter Jahrgang, sowohl literarisch als auch politisch. Es gibt sehr viele Sachbücher zu Brennpunkten in der Welt.

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Was empfiehlt der Buchmesse-Direktor aus dem prallen "Leipzig liest"-Programm?

Zille: Ich würde unseren Messeschwerpunkt deutsch-israelische Beziehungen empfehlen. Wir haben ein exzellentes Programm mit 40 Autoren gestaltet, allen voran Amos Oz. Ausgewählt wurden Autoren, die mit neuen Büchern jetzt am Markt sind. Darüber hinaus haben wir verschiedene neue Veranstaltungsreihen konzipiert, eine davon heißt "Im Brennpunkt". Dort werden zum russisch-ukrainischen Konflikt Autoren, Journalisten und Landeskundler sprechen. Dann spielt der Nahost-Konflikt eine Rolle. Und schließlich Islamismus nach den Anschlägen von Paris, da werden sich Autoren zum großen Themen Meinungsfreiheit versus Sicherheit äußern.

Fast jede Stadt hat mittlerweile ein Literaturfestival. Wie groß ist die Konkurrenz für "Leipzig liest"?

Zille: Das ist doch zunächst einmal positiv für die Autoren und Verlage. Und wie heißt es immer so schön: Konkurrenz belebt das Geschäft. Es zwingt uns im positiven Sinne zu schauen, dass wir originell sind. Leipzig hat eine Alleinstellung. Es gibt im deutschsprachigen Raum kein Literaturfest, das so vielfältig ist wie "Leipzig liest". Es gibt kuratierte Teile, aber als Ganzes ist es sehr offen gestaltet. Sie finden dort das Wichtige des Frühjahrs, und was wichtig ist, entscheiden zunächst die Anbieter und dann das Publikum mit den Füßen.

Haben Sie über die Jahre eine Veränderung beobachtet mit der Konkurrenz, die da erwachsen ist?

Zille: Ich glaube, dass "Leipzig liest" auch deswegen herausragend ist, weil es diese Vielfalt anbietet und nicht nur ein paar Stars in der Spitze fördert, was ja viele Literaturfestivals machen. Es gibt natürlich immer einen Kampf um Namen, klar. Pawel Kohut, Günter Grass und Herta Müller werden auf der Messe sein, um mal ein paar bekanntere Namen zu nennen. Aber wir wollen in der Breite eine Aufmerksamkeit für den Buchmarkt schaffen. Dafür sind wir eine Messe und das Literaturfest ist ein fester Bestandteil dieser Messe.

Sachsen hat in den zurückliegenden Wochen Schlagzeilen gemacht mit Pegida/Legida. Haben Sie das als Messe zu spüren bekommen?

Zille: Es gab keine Reaktionen von Ausstellern. Aber es wird sicher auf der Messe ein Thema sein. Es kommen eine ganze Reihe von Büchern zu 25 Jahre deutsche Einheit auf den Markt. Es ist da aus unserer Sicht quasi zwingend, dies auch für eine Diskussion über den Zustand der deutschen Gesellschaft zu nutzen. Und dazu gehört auch, dass die Phänomene Pegida/Legida thematisiert werden.

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Es gab so viel internationale Berichterstattung, besonders über Dresden und Pegida. Das hat sich nicht ausgewirkt?

Zille: Es gab Anfragen gerade aus Richtung Israel. Dabei stand aber gar nicht so sehr Pegida/Legida im Vordergrund, sondern es waren eher Fragen in Richtung Europa und Antisemitismus. Die Anschläge in Paris haben die Autoren und unsere Kollegen in Israel besonders bewegt. Die Demonstrationen in Leipzig haben dazu noch verstärkend gewirkt. Trotzdem: Was die Teilnehmer betrifft, so konnte ich dort eher Vorfreude auf unsere Messe feststellen. Wir sehen es auch als Chance, mit unserem Programm deutliche Zeichen zu setzen und uns nicht wegzuducken, sondern offen einzustehen für demokratische Werte und Meinungsfreiheit und gegen Ausländerfeindlichkeit.

Voriges Jahr hatte die Schweiz einen großen Auftritt auf der Messe, dieses Jahr steht Israel im Fokus. Was kommt nächstes Jahr?

Zille: Nächstes Jahr wird es erst einmal keinen vergleichbaren Schwerpunkt geben. Es gibt keine regelmäßigen Länderschwerpunkte auf der Leipziger Buchmesse. Was 2017/18/19 passiert - da sind wir noch in der Vorbereitung. Auf jeden Fall, um eine Richtung zu geben, bleiben Mittel-Osteuropa und die deutschsprachigen Länder eine wichtige Ausrichtung unserer Messe.

Zur Person: Oliver Zille (54) übernahm 1991 die Verantwortung für die Leipziger Buchmesse und ihre Neuausrichtung nach dem Mauerfall. Seit 2004 ist er Mitglied der Geschäftsleitung der Leipziger Messe GmbH und Direktor der Leipziger Buchmesse. Zille wurde 1960 in Leipzig geboren. Er studierte an der Berliner Hochschule für Ökonomie Außenwirtschaft und Handel. (dpa)