Berlin. Andreas Dresen dreht eine schonungslose Wendebilanz - und erntet viel Lob. NRW trägt etwas zu dick auf.
Auf der Berlinale präsentiert sich Nordrhein-Westfalen mit stolz geschwellter Brust als potentes Filmland. Dazu gehört auch, dass die Geschäftsführerin der NRW-Filmstiftung, Petra Müller, gern betont, dass aus unserem Bundesland in diesem Jahr sage und schreibe 29 Filme im Berlinale-Programm auftauchen. 29 also aus Nordrhein-Westfalen von 441 weltweit, das ist tatsächlich keine schlechte Quote.
NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft legt noch ein Pfund obendrauf: „Das Filmland NRW ist beides; jung, erfahren und gleichermaßen erfolgreich. Unsere Filmbranche bedient das ganze Spektrum und jedes Genre. Und alle können sich darauf verlassen, dass sich die Landesregierung auch weiter für die Film- und Kreativwirtschaft stark machen wird.“ Diese markigen Worte formulierte die Landesmutter übrigens beim Berlinale-Empfang der NRW-Landesvertretung. Ort und Zeit waren gut gewählt, denn mehr als 1200 Gäste kamen so in den Genuss der Hoffnung und Zuversicht stiftenden Worte.
Fünf Produktionen im Wettbewerb
Ein genauerer Blick auf die Liste der NRW-Filme offenbart aber eine gewisse Wässerigkeit. Unter den 29 Filmen sind längst nicht alle mehr taufrisch. So laufen einige von ihnen seit Wochen in den Kinos („Nowitzki – Der perfekte Wurf“ oder „Frau Müller muss weg“), andere waren gar schon bei der Berlinale im vergangenen Jahr im Programm, wie etwa „Die geliebten Schwestern“ von Regisseur Dominik Graf.
Wie dem auch sei, Deutschland ist beim Berliner Filmfest gut vertreten. Nicht nur mit Masse, auch mit Klasse. Gleich fünf deutsche Produktionen sind im offiziellen Wettbewerb (bestehend aus 23 Streifen) zu sehen. Über den Film „Victoria“ von Sebastian Schipper haben wir uns bereits sehr lobend ausgelassen, inzwischen gehört die Produktion zum engeren Kreis der Siegerkandidaten.
Ebenfalls sehr positiv ist die neue Arbeit des deutschen Regisseurs Andreas Dresen („Halbe Treppe“) aufgenommen worden. Mit „Als wir träumten“ hat er eine schonungslose Wendebilanz aus der Sicht junger Leute in Leipzig gedreht. „Facebook aus, Sternschnuppen an“ hatte Dresen versprochen, doch wer eine romantische Himmelsschnulze erwartet hatte, wurde enttäuscht. Hoffnungs- und orientierungslos, so schildert Dresen die Folgen der Wiedervereinigung, fokussiert in einer jungen Clique, die zu DDR-Zeiten zwar nicht wunschlos glücklich, immerhin aber in gewisser Weise zielgesteuert lebte.
Ohrenbetäubend inszeniert
Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase bringt es auf den Punkt: „Die Teenager beginnen mit der alterstypischen Euphorie ,Was kostet die Welt?’, doch sie müssen feststellen, dass die Welt bereits verkauft ist.“ Mit der neuen, unerwarteten Freiheit können sie nicht umgehen. Sie schlagen über die Stränge und werden selbst zu Schlägern und Kriminellen. Alkohol und Drogen sind nun ihre Alltagsbegleiter, und eine rechtsradikale Bande setzt ihnen außerdem lebensgefährlich zu.
Der Film basiert auf dem preisgekrönten Roman von Clemens Meyer aus dem Jahre 2006. Die Koordinaten dieses mitunter atemlos und ohrenbetäubend inszenierten Dramas bestehen aus Begriffen wie Utopie, Rebellion, Illusion, Brutalität und einem Freundschaftskodex, der am Ende ausgedient hat.