Berlin. . Wim Wenders’ dreidimensionales Drama „Every Thing Will Be Fine“ feierte bei der Berlinale Premiere: seelische Abgründe werden hier ganz neu erfahr- und erlebbar.

Wir geben zu, wir hatten ein bisschen Angst vor diesem Film. Es sind ja gerade die großen Granden, die Altmeister des Kinos, die auf dieser Berlinale so enttäuschen. Ein Werner Herzog. Und ein Terrence Malick. Sollte sich auch noch Wim Wenders mit seinem neuen Film „Every Thing Will Be Fine“ dazugesellen, ausgerechnet Wenders, der doch am Donnerstag den Ehrenbären bekommt und in einer Hommage seine alten Werke nach aufwendiger Restauration wie Frischware präsentieren kann? Aber dann die Erleichterung.

Wir werden gleich anfangs in einen stickigen Raum katapultiert. Ein paar Staubflusen schweben in der Luft und brechen sich im Halblicht. Da hat uns der Film schon. Denn „Every Thing“ ist ein 3D-Film. Da wird schon so ein Staubkorn zum Ereignis. Gleich darauf sieht man aus dem Fenster auf eine Schneelandschaft. Und gleichzeitig die Eisblumen am Glas im Vordergrund. Auch das ein Effekt.

„Ich kann nur noch 3D“, hat Wenders nach "Pina" gesagt

3D, das war ja bislang immer ein Mittel für das Action- und Überwältigungskino, wenn einem Geschosse ins Gesicht springen oder man durch Achterbahnen rast. Dann kam Wim Wenders, das ist auch schon vier Berlinalen her, und hat die Dreidimensionalität für den Dokumentarfilm entdeckt. In „Pina“ fuhr die Kamera kurz durch einen Gazévorhang – allein das ein wunderschöner, ja poetischer Moment. „Ich kann nur noch 3D“, hat Wim Wenders uns damals gesagt. Er hat dann doch noch mal zweidimensional gedreht, aber „Das Salz der Erde“ dokumentierte einen großartigen Fotografen, dessen Oeuvre man schwerlich in eine künstliche Tiefe stürzen konnte.

Seit Jahren arbeitete Wenders aber zeitgleich an „Every Thing“ – und ist jetzt, wer hätte das gedacht, nach all den Jahren noch immer ein 3D-Pionier. Die große Tiefenwirkung auch im Arthouse-Kino ist bislang überraschend ausgeblieben. So liefert uns der bald 70-Jährige nun das erste große Drama in 3D. Sein in Kanada gedrehter Film handelt von dem Schriftsteller Tomas Eldon (James Franco), den ein Unfall, bei dem er ohne Schuld ein Kind überfährt, in eine tiefe Sinnkrise stürzt. Er fährt abends mit einem Wagen durch eine Schneelandschaft, wird einen Augenblick vom Klingeln seines Handys abgelenkt. Da saust ein Schlitten vor sein Auto. Er springt aus dem Auto, läuft um den Wagen herum. Da sitzt ein Kind auf dem Schlitten. Alles gut gegangen. Glücklich bringt er es zu seiner Mutter. Die dann schockiert fragt, wo denn der Bruder ist.

Ein Unfall mit tödlichem Ausgang

Schuld und Vergebung, ein sehr deutsches Thema. Auch der Ausgangsmoment kommt einem seltsam vertraut vor, wir kennen das aus Christian Petzolds „Wolfsburg“ oder Matthias Glasners „Gnade“. Bei Wenders reißt der tödliche Unfall tiefe Wunden in gleich drei Leben. In das des Autors, das der Mutter (Charlotte Gainsbourg) und das von Eldons Freundin (Rachel Mc­Adams), deren Beziehung daran zerbricht.

Diese allmähliche Entfernung und Entfremdung wird uns mit den Mitteln von 3D erzählt. Immer wieder werden die Bilder künstlich kadriert, durch Türrahmen, Fensterscheiben, Küchenanrichten, durch die hindurch die Kamera von Benoît Debie die Menschen filmt. Und sie so zugleich von ihrer Umwelt isoliert, ausschließt. Lauter Verlorene.

Immer wieder werden damit auch seelische Abgründe visuell erfahr- und erlebbar. Die 3D-Bilder sind wie ein schwankendes Boot, dessen Planken man nicht trauen mag. Immerzu bergen die Bilder eine drohende Gefahr, das wird kräftig unterstützt von Alexandre Desplats Score, der sich an Bernard Herrmanns Hitchcock-Musik anlehnt.

Selbst James Franco zeigt einmal wieder, wie gut er agieren kann, wenn er nur einen Regisseur hat, der ihn anzuweisen weiß. Schade nur, dass „Every Thing“ außer Konkurrenz läuft. Wenders kriegt ja den Ehrenbären, da kann er nicht noch um die anderen Bären buhlen. Verständlich, dass er daher überlegt hat, ob er den Film nicht für Cannes aufspart. Ein Preis wäre ihm wohl sicher gewesen. Aber auch schön, wenn er nun die Wenders-Berlinale so trefflich abrundet.