Duisburg. Sich umklammern, bedrängen und weitergehen: Bei Chefchoreograph Schläpfer müssen sich die Protagonisten durch einen inneren “Ur-Dschungel“ kämpfen.

Ein düsterer Alter-Ego drischt mit Fäusten auf den Menschen ein, eine intensive Liebe entschwindet nach kurzer Episode: In seinem neuen Ballett "verwundert seyn - zu sehn" begibt sich Chefchoreograf Martin Schläpfer in das "Dickicht des Menschseins", wie der Direktor des Balletts am Rhein Düsseldorf-Duisburg selber sagt. "Mich beschäftigt die Frage, warum man als Künstler wie als Mensch oft meint, nicht nach vorne zu kommen und daran leidet." Die Uraufführung am Freitag im Duisburger Theater wurde vom Publikum mit starkem Applaus begrüßt.

Im Pas de deux der Hauptperson (Marcos Menha) mit seinem Alter-Ego (Chidozie Nzerem) spiegeln sich Leidenschaft und Qual, Anziehung und Überdruss. Erst als sich eine Tänzerin zwischen die Männer drängt, löst sich die Enge auf. Auf der zunächst nur vom Mond beschienenen Bühne bewegen sich die Tänzer in dunklen Ganz-Körper-Anzügen virtuos, ebenso überzeugend der weißrussische Pianist Denys Proshayev am Klavier.

Im ersten und dritten Part von "verwundert seyn - zu sehn" erklingen Sonaten von Alexander Skrjabin (1872-1915). Eine hat der Komponist nie selbst öffentlich gespielt, wie es im Begleitheft heißt. Als zu "alptraumhaft, undurchschaubar, unsauber und hinterhältig" habe er sie empfunden. Im mittleren Part sorgt ein Werk von Franz Liszt (1811-1886) für etwas Leichtigkeit.

"Es geht mir nicht um einen Bruch", erklärt Schläpfer, "sondern eher um ein lichtes und heiteres, aber sehr kraftvolles Hochtal, das sattgrün zwischen den beiden vermondeten und umwölkten Höhenlagen von Skrjabin liegen muss."

Getanzt wird ohne musik

Für das zweite Stück des Abends verwandelt sich bei dem Ballett ohne Musik "Moves" von Choreograf Jerome Robbins die Compagnie in eine Sporttruppe - mit Schwimmerinnen und knackigen Turnburschen. Viele getanzte Figuren sind sehr symmetrisch, synchron, mit rhythmischen Wiederholungen. Für einige Minuten wird die Bühne gar komplett zu einem Fitnessstudio - allerdings voller athletischer Vorzeigekörper in farbenfrohen Klamotten, die sich ästhetisch bewegen. Dass dieses Stück ohne Musik getanzt wird, ist laut Theater übrigens ein Zufall - der Komponist hatte den Choreografen vor der Uraufführung 1959 schlicht im Stich gelassen.

Der letzte Teil des Abends, "Ein Wald, ein See" (Schläpfer, 2006), zieht die Zuschauer zunächst in den Bann der Natur - in einem Stangengewirr über der Tanzfläche sitzt gar ein Uhu. Die Stimmung ist mystisch, die Tänzer sind teils wie Schlingpflanzen ineinander verwoben, es bildet sich ein undurchdringlicher Urwald. Ganz zum Ende hin verliert der Tanz der Erdgeister allerdings deutlich an Schwung - die Musik von Komponist und Performer Paul Pavey reduziert sich fast vollständig auf eine Art Sprechgesang aus völlig unverständlichen Lauten. Das ist halb erheiternd ("Hurz"), teils aber auch beunruhigend und langatmig. (dpa)