Der zehnjährige Ukrainer Mischa besucht seit Ende März eine vierte Klasse in Moers. In Mathe und Englisch ist er ganz weit vorn.

Mykhailo spricht ukrainisch, russisch, englisch „…und deutsch!“ sagt der Zehnjährige und grinst. Denn er weiß selbst, dass das ein bisschen geflunkert ist. Mykhailo, der von seiner Familie Mischa gerufen wird, besucht seit Ende März die 4a der Astrid-Lindgren-Schule in Moers. Er ist eins der 9000 Kinder, die vor dem Krieg in der Ukraine geflohen sind und jetzt in Nordrhein-Westfalen eine Grundschule besuchen. Insgesamt sind es über 22.000 ukrainische Jungen und Mädchen, die in NRW am Schulunterricht teilnehmen.

Das Alphabet hatviele andere Buchstaben

Mischa ist klug und interessiert sich für alles, sagt seine Schwester Dascha. Aber eine Unterhaltung auf Deutsch ist doch zu kompliziert. Also hilft die 16-Jährige ihrem jüngeren Bruder. Es wird viel auf Englisch gesprochen. Eine Übersetzungs-App und eine Mitschülerin, die russisch spricht, helfen auch. Dascha selbst nimmt am Unterricht im Gymnasium Adolfinum in Moers teil. Die Geschwister kommen aus Pershotravneve, das ist eine kleine Stadt in der Ukraine. Sie haben bis Mitte März die gleiche Schule besucht. Das ist in der Ukraine normal. Hier ist vieles anders.

Es muss sich anfühlen wie eine verkehrte Welt: Der Unterricht fängt in Deutschland früher an, das Alphabet hat andere Buchstaben und das Notensystem ist auf den Kopf gestellt. In der Ukraine geht es von 12 bis 1. Zwölf ist die beste Note. Sogar die schriftliche Division wird unterschiedlich erklärt.

Mischa besucht die Astrid-Lindgren-Schule in Moers.
Mischa besucht die Astrid-Lindgren-Schule in Moers. © Fabian Strauch / FUNKE Foto Services | Unbekannt

Das sind nur äußere Veränderungen. Wie sieht es in Mischa aus? An den ersten Tag in der 4a erinnert er sich genau. Anfangs sei er traurig gewesen, weil er nichts verstanden habe, erzählt der Zehnjährige. Das hat sich geändert. Er schnappt immer wieder neue Wörter auf, einige Mitschüler sprechen russisch und in Englisch und Mathe ist er ganz weit vorn. Einen besten Freund hat er auch, Julien aus seiner Klasse.

Wenn seine Klassenkameraden ihn fragen, wie es ihm geht, sagt Mischa: „Alles gut.“ Fragen nach seiner Flucht und seiner Heimat stellen sie nicht mehr. Mischa wird dann traurig, haben die Kinder gemerkt. Also erzählt Dascha: Von den Bomben und der Flucht mit der Mutter Anastasia durch die Länder Moldawien, Rumänien, Ungarn, Slowakei und Tschechien. Eine Woche haben sie mit 1000 anderen geflüchteten Ukrainern und Ukrainerinnen in einer Notunterkunft in der Stadt Rostock gewohnt.

Online-Unterrichtnach der Schule

Über ein Suchportal für Geflüchtete findet Dascha die Dachgeschosswohnung im Zuhause von Claudia und Andreas Brakmann. Die drei haben ein Riesenglück: Claudia Brakmann hilft bei allen Behördengängen. Für Mischa, der in der vergangenen Woche Geburtstag hatte, richtet sie ein Fest mit Torte, Girlanden und Luftballons aus. Eine schöne Idee in einer sehr bedrückenden Zeit: Mischas Vater Aleksander musste in der Ukraine bleiben. Er gratuliert per Video.

Mischa sei sehr ernst geworden, findet Dascha, irgendwie sei er kein Kind mehr. Für beide geht der Unterricht nach der Schule weiter. Dann bekommen sie Aufgaben aus ihrer ukrainischen Schule. Die ist zwar geschlossen, aber es gibt Online-Angebote für Dascha und Hausaufgaben für Mischa. Dascha muss bald nach Berlin fahren. Dort findet ihre ukrainische Abschlussprüfung für die 11. Klasse statt.

Wie es weitergeht, wissen sie nicht. Eine eigene Wohnung in Moers wäre wichtig, sollten sie noch länger bleiben müssen. Dascha und Mischa leben seit zwei Monaten in einem Zimmer. Wenn Dascha in die Zukunft blickt, sieht sie ihre Familie aber in der Ukraine. Sie sagt: „Wenn wir die Nachricht hören, dass der Krieg vorbei ist, sitzen wir am nächsten Tag im Auto.“