Die spinnen so schön, die Briten. Wo sonst findet man eine streng geheime Cocktailbar, die sich in einem Antikladen als Gartenschuppen tarnt?
Der Brexit naht, und alle Welt sorgt sich um Zölle und Handel. Aber der Humor! Wer ist ab 31. Januar in der EU für das Schräge und Schrullige zuständig? Wir sind schnell noch auf die Insel gefahren und haben eine große Dosis britischer Spleens gehamstert.
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Den Beginn der 20er Jahre wollten wir stilvoll würdigen – im alten Seebad Folkestone. Es gibt eine viktorianisch-morbide Promenade und quicklebendige Pubs, was will man mehr an Silvester? Eine Top-Secret-Cocktailbar, raunte die Vermieterin der Ferienwohnung. „Cool!“, meinten unsere großen Kinder. Nach dem Essen im Pub würden wir die Bar testen. Merkwürdig, dass die Briten uns um 20 Uhr mit „Happy New Year!“ begrüßten und schon feierten, als würde in jeder Sekunde ein Zeiger auf Mitternacht springen. Gegen 23.30 Uhr leerte sich der Pub. Feuerwerk? Alle sind am Meer, ahnten wir und eilten zur Promenade. Da standen wir einsam im Wind, die Fassaden der altehrwürdigen Hotels gähnten.
Passwort: Neuigkeiten über den Maulwurf
Zeit für einen Drink. Die Cocktailbar „The Potting Shed“ ist ein Ultra-Geheimtipp und tarnt sich als Antikshop. Die Adresse erfährt man durch Mundpropaganda. Der Besitzer vergibt telefonisch ein Passwort. Silvester lautete es (übersetzt): „Ich weiß Neues über den Maulwurf“. Glauben Sie mir, wenn man in eine Türklappe flüstern muss „Es gibt Neues über den Maulwurf“, ist man gleich angeheitert. Die Bar ist hochprozentige Satire, ein rührender Mix aus Monty Python und 007.
Wer schreibt denn da?
Maike Maibaum schreibt seit Jahren die Kolumne „geschenkt“: Die NRZ-Redakteurin und Mutter von zwei Kindern ist Expertin für den alltäglichen Wahnsinn im Familienleben. Sie lästert jede Woche lustig über ihre Lieben und die wildgewordene Welt. Zwei Bücher mit den besten Geschichten („Geschenkt“, „Noch mehr geschenkt“) sind im Klartext-Verlag erschienen, illustriert vom preisgekrönten Karikaturisten Thomas Plaßmann.
In dem Antikladen fühlten wir uns von Porzellanfiguren beobachtet. Nach einer ewigen Minute öffnete der Barmann eine knarzende Tür und geleitete uns in einen – Gartenschuppen. Er genoss unsere verdutzten Gesichter und klappte die ganze Rückseite des Schuppens weg, wie die Schranktüren, durch die einst die Kinder ins Phantasiereich Narnia traten. Nur dass wir in ein Erwachsenen-Märchen spazierten: Eine verwunschene Cocktailbar, magisch ausgeleuchtet wie eine Theaterkulisse, mit patinierten Möbeln aus einer Gartenlaube, die wohl 200 Jahre auf ihren Auftritt gewartet hatten. Wir fühlten uns geborgen im Geheimnisvollen, fehlte noch das weiße Kaninchen aus Alices Wunderland. Leben und Literatur gehen in England gerne durcheinander, Boris Johnson wäre besser eine Romanfigur geworden.
Unser Kapitel hatte nur einen Fehler. Wo war die Feier? Die Gäste seien lange fort, entschuldigte sich der Barkeeper um 23.55 Uhr. In England sei Mitternacht kein Thema. Schlag zwölf prosteten wir uns etwas verschämt zu, der Barmann nickte höflich, ich schwöre, dass der Geist von Mary Poppins kopfschüttelnd vorbei schwebte.
Okay, wir hatten wenig Party, aber eine Familienpackung Poesie.