Dortmund. Der BVB taumelt durch die Bundesliga-Saison. Der Status als Nummer zwei bröckelt. Einiges ist schiefgelaufen, vieles muss sich ändern.

Es geht „weiter, immer weiter“, wie Oliver Kahn sagen würde; schon am Montag fliegt Borussia Dortmund nach Italien. Dort muss der Klub einen Tag später gegen den FC Bologna bestehen und mit einem Sieg der direkten Qualifikation für das Champions-League-Achtelfinale näherkommen. Acht Grad und Regen sind vorausgesagt, dem Winterwetter können die Schwarz-Gelben in Norditalien nicht entfliehen und auch die Krise, die sie plagt, werden sie nicht einfach hinter sich lassen können.

Alle drei Bundesligaspiele im Jahr 2025 hat der BVB verloren, am Freitagabend rutschte die Elf durch ein 0:2 bei Eintracht Frankfurt aus. Trainer Nuri Sahin steht vor dem Ende, die Königsklassen-Teilnahme wackelt erheblich, die Fans machen ihrem Ärger durch Pfiffe Luft. Der Verein wirkt wie ein Schwertransport, der in die falsche Richtung fährt, und niemand weiß, wie sich dieser Brecher aufhalten lässt.

Emre Can, BVB-Kapitän.
Emre Can, BVB-Kapitän. © Getty Images | Alex Grimm

Vielen BVB-Fans malen ein düsteres Bild

Und es gibt zwei Sichtweisen auf diesen Absturz. Viele Anhängerinnen und Anhänger malen ein düsteres Bild, sie fürchten, dass sich ihr Herzensklub aus dem Kreis der Großen verabschiedet. Der Name „Hamburger SV“ fällt in Gesprächen als Beispiel dafür, dass schon andere Schwertransporter unaufhaltsam in den Abgrund gerauscht sind.

Im Verein klingt das anders, dort erklären die mächtigen Personen in Gesprächen, dass die Tabellensituation zwar Sorgen hervorrufe, der Kader aber viel mehr könne, es schon viel komplizierte Phasen gegeben habe. Im vergangenen November hat Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke auf der Jahreshauptversammlung gesagt: „Ich hatte in den letzten zwei Jahren das Gefühl, dass in diesem Verein das Wort Solidarität durch Ungeduld ersetzt worden ist. Wir kommen gerade aus dem Champions-League-Finale. Wir waren Millimeter vor der Deutschen Meisterschaft, wir sind finanziell stabiler als die allermeisten Klubs. Trotzdem hat man das Gefühl, dass immer so ein Unfrieden wabert. Was ist da eigentlich schiefgelaufen?“

Der Unfrieden, den Watzke meint, ist entstanden durch die vielen peinlichen Ausrutscher in den vergangenen Jahren, durch Blamagen wie das 2:4 bei Holstein Kiel in diesem Jahr, durch das Gefühl, dass der 500-Millionen-Euro-Umsatz-Klub nicht alles aus sich herauspresst – und natürlich auch durch die gestiegene Erwartungshaltung. Die Fans wollen Titel angesichts der riesigen Millionengehälter für die Fußballer.

Die Mächtigen des BVB: Cramer, Watzke, Lunow, Ricken, Sammer (von links nach rechts).
Die Mächtigen des BVB: Cramer, Watzke, Lunow, Ricken, Sammer (von links nach rechts). © Getty Images | Alex Grimm

BVB: vermasselte Transfer, zu viele verschiedenen Trainer

Und was ist schiefgelaufen? Einiges. Es gibt vermasselte Transfers, zu viele verschiedene Trainer. Intern beäugen sich die Entscheider gegenseitig. Sportdirektor Sebastian Kehl hätte gerne den Posten von Sport-Geschäftsführers Lars Ricken. Der Technischer Direktor Sven Mislintat würde gerne Kehl ablösen. Alle drei sollen aber gemeinsam die Zukunft des Klubs formen. Über allem schwebt Hans-Joachim Watzke, der zwar betont, dass er sich raushalte, der aber weiterhin die alles überstrahlende Persönlichkeit ist. Dazu kommt nun ein Trainer, der kurz vor dem Aus steht. Nuri Sahin muss am Dienstag in Bologna gewinnen, ansonsten wird seine Amtszeit aller Voraussicht nach nach nur sechs Monaten enden.

Das Ziel lautet nur noch, irgendwie in die Champions League zu rutschen. Von Titelgewinnen spricht derzeit niemand mehr. Als die Vertragsverlängerung mit Kehl verkündet wurde, ließ sich Ricken so zitieren: „Wir möchten auch in den nächsten Jahren kontinuierlich in der Uefa Champions League vertreten sein und die dafür notwendige Rolle in der Bundesliga spielen.“ Aus dem einstigen Minimalziel war das einzige Ziel geworden. Das mag realistisch sein, wirkt aber ambitionslos.

Weitere Beispiele: In der vergangenen Saison wand sich Kehl nach einem trostlosen 0:0 in Heidenheim um jede Kritik herum, sprach lieber von einem Schritt zur Seite als einem Rückschlag. Und kürzlich brachte der Klub auf seinen Kanälen ein Filmchen, in dem Nico Schlotterbeck und Marcel Sabitzer noch einmal die vergangene Champions-League-Saison samt verlorenem Finale Revue passieren ließen. Man hat sich offenbar arrangiert damit, dass es für ganz oben nicht mehr reicht.

Es droht die Verzwergung eines Riesen.

Im Sommer 2019 klang dies ganz anders. In der Saison zuvor hatten die Dortmunder in der Rückrunde unter Trainer Lucien Favre auf groteske Art und Weise die Meisterschaft verspielt. Jetzt änderten die Verantwortlichen die Tonart. „Wir wollen Meister werden“, stellte Watzke klar, garniert wurde diese Ansage mit den Transfers von Thorgan Hazard, Nico Schulz, Julian Brandt und Mats Hummels. Die Über-Bayern sollten angegriffen werden.

Es kam anders.

Lars Ricken, Sport-Geschäftsführer beim BVB.
Lars Ricken, Sport-Geschäftsführer beim BVB. © dpa | Bernd Thissen

BVB-Geschäftsführer Lars Ricken: „Wir wollen nicht nur um Titel spielen, sondern am Ende wollen wir natürlich auch einen gewinnen“

Auch in der kommenden Spielzeit, Meister-Ansage hin, Meister-Ansage her, erlebte der rätselhafte Verein nebulöse Zusammenbrüche. Die Bayern hatten am Ende 13 Punkte Vorsprung, der BVB landete auf seinem angestammten zweiten Platz. Das Wort Meisterschaft nimmt seitdem niemand mehr vor dem Saisonstart in den Mund. Lars Ricken sagte als neuer Sport-Geschäftsführer im vergangenen Sommer immerhin: „Wir wollen nicht nur um Titel spielen, sondern am Ende wollen wir natürlich auch einen gewinnen.“

Nur hat Sahins Elf mit einer Spitzenmannschaft gerade so viel gemein wie das Ruhrgebiet mit dem Regenwald. Es fehlt ihr an Sicherheit, an Selbstbewusstsein, an Spektakel. Die unkreative Transferpolitik tut ihr Übriges. Waldemar Anton war lange verletzt, Serhou Guirassy hängt durch, Maximilian Beier überzeugt zu selten, Yan Couto steckt in einem Loch, Pascal Groß wird in wechselnde Rollen verschoben. Dortmund hat seit Jahren ein Problem mit seinen zweistelligen Millionen-Transfers, schon unter Sportdirektor Michael Zorc erfüllten diese nur selten die Erwartungen. Unter Kehl setzt sich dies fort – mit dem zusätzlichen Problem, dass aus dem Kreis der hochveranlagten Talente nur Jamie Gittens den nächsten Schritt gemacht hat.

Die Konkurrenz zieht am BVB vorbei

Lange galt der BVB als der Verein, der europäische Toptalente groß rausbringt. Nun binden die unverschämt reichen englischen Klubs ihre Jungprofis einfach viele Jahre an sich, um sie dann zu verleihen. RB Leipzig und Bayer Leverkusen bieten aufstrebenden Fußballern ein deutlich ruhigeres Umfeld als die Borussia, die schon als schwarzes Loch bezeichnet wird, weil sie die Energie aus allem zieht. Selbst Eintracht Frankfurt hat an diesem Wochenende Omar Marmoush für 80 Millionen an Manchester City verkauft.

Es scheint, als hat es sich Borussia Dortmund mit seiner Rolle als zweite Bundesliga-Macht zu bequem gemacht und dabei übersehen, dass die Konkurrenz dabei ist, vorbeizuziehen. Der Status bröckelt. Sollte die Qualifikation für die Champions League misslingen, dann muss der Verein im kommenden Sommer einen Profi verkaufen, der Geld einbringt. Dies würde die Kaderqualität weiter senken. Für Lars Ricken wird dies zur Bewährungsprobe. Der BVB braucht eine neue Identität, die Fans müssen mitgerissen werden. Transfers sollten nach einer Spielidee ausgerichtet werden. Vor allem muss eine Siegermentalität entstehen, die den gesamten Klub erfasst.

Ein Trainerwechsel alleine wird nicht reichen, um den Schwertransport aufzuhalten.