An Rhein und Ruhr. NRW fehlen 300 Lokführer. Bei allen Unternehmen. Was tun? DB-Regio und National-Express mochten nicht. Vias-Geschäftsführer Thomas Eßer gibt Antwort.

Vias Rail war einst ein vergleichsweise kleines Bahnunternehmen aus Düren, entsprungen unter anderem aus der Rurtalbahn (ohne h, zwischen Düren und Heimbach). Mittlerweile mischt es in NRW kräftig mit und betreibt unter anderem das Niederrheinnetz bis 2036 mit der Linie RE 19 (Düsseldorf-Oberhausen-Wesel und dann nach Bocholt und Arnheim) sowie das Ruhr-Sieg-Netz.

Der Lokführermangel in NRW bremste allerdings die Züge dort immer wieder aus. Jetzt ist gerade Baustelle, die Züge fahren seltener, eine gute Zeit, sich neu aufzustellen, oder? Wir fragten Thomas Eßer, den Geschäftsführer von Vias.

Herr Eßer, hilft Ihnen die Großbaustelle mit 80 Wochen Sperrung zwischen Oberhausen und Arnheim beim Abbau von Überstunden und Urlaubstagen bei den Lokführern?
Thomas Eßer: Jeder Zug, den wir fahren können, ist grundsätzlich erst einmal gut für uns und unsere Fahrgäste. Und die Vollsperrungen der Strecke beschränken sich ja auf deutlich weniger Wochen. Aber natürlich hilft das bei dem Thema Personalsituation dahingehend, dass die Leute in der Zeit gegebenenfalls Urlaub nehmen können, Überstunden abbauen oder Fortbildungen machen. Der Urlaubsabbau ist allerdings ein Stück weit begrenzt, weil auch das Menschen sind mit Familie, die bevorzugt Urlaub nehmen, wenn die Kinder Ferien haben. Insofern ist der Effekt nicht so groß, wie man das jetzt vermuten könnte.

Die Personalsituation ist bei allen Eisenbahnverkehrsunternehmen in NRW extrem angespannt. Wie sieht es bei Ihnen aus?
Auch wir können uns dem Fachkräftemangel natürlich nicht entziehen. Wir sind Mitglied in dem Programm „Fokus Bahn“, der Ausbildungsoffensive des Landes NRW, wir haben mit „Lukas“ eine eigene Ausbildungsstätte für Lokführer. Aber wir haben 2021 durch die Übernahme der Verkehrsleistungen von Abellio auch einen großen Sprung gemacht, was unsere Leistungen angeht. Das macht es erstmal nicht einfacher, aber wir sind auf einem guten Weg. Wir setzen auch einen gewissen, aber überschaubaren Anteil an Leihlokführern ein. Da arbeiten wir allerdings nur mit den Unternehmen zusammen, die das Problem des Lokführermangels gemeinsam mit den Eisenbahnen lösen wollen, und es nicht verschärfen.

Zugausfälle wegen Personalmangel tauchen auf den Anzeigetafeln immer häufiger auf.
Zugausfälle wegen Personalmangel tauchen auf den Anzeigetafeln immer häufiger auf. © FUNKE/Fotoservices | Gerd Wallhorn

Was meinen Sie damit?
Es gibt Personaldienstleister, die werben Lokführer bei Unternehmen ab, um sie dann für erheblich mehr Geld mitunter an die gleichen Unternehmen zurückzuleihen. Die brauchen dafür nicht viel mehr als eine Webseite und ein Telefon. Diese Firmen bilden nicht aus und sorgen auch nicht dafür, dass mehr Lokführer auf dem Markt sind. Damit arbeiten wir nicht zusammen.

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Können Sie sich mit Ihren Mitbewerbern in diesem Punkt abstimmen, damit da nicht Minifirmen vom Mangel profitieren?
Das ist unsere eigene unternehmenspolitische Entscheidung. Wir sehen unseren Weg darin, so viel wie möglich selbst auszubilden. Das tun wir schon seit jeher.

Wie viele Lokführer fehlen Ihnen denn? Und wie sieht bei Ihnen die Alterspyramide aus?
Wir haben eine dreistellige Zahl von Triebfahrzeugführern im Einsatz, als Besonderheit haben wir auch international ausgebildete Lokführer für unsere Züge nach Arnheim. In 2024 hatten wir alle Ausbildungskurse gut besetzt. Die Ausbildung dauert neun bis zwölf Monate, so dass zum Jahreswechsel und in den ersten Monaten 2025 viele neue Kollegen dazu kommen. Wir werden auch 2025 etwa 30 bis 40 weitere Lokführer ausbilden, um mögliche Dellen in der Zukunft zu vermeiden. Die Altersstruktur ist bei uns ganz gut, weil wir ein vergleichsweise junges Unternehmen sind.

Können Sie sich vorstellen, dass Züge bald autonom fahren?
Das brauche ich mir nicht vorzustellen, denn das kann ich mir auf Versuchsstrecken der Industrie schon heute anschauen. Kurz- und mittelfristig sehe ich das allerdings noch nicht im Alltag auf unseren dicht befahrenen Strecken. Dafür müsste man das Netz komplett auf neueste Technik umrüsten. Am ehesten würde das noch auf einigen Nebenstrecken in einer Art Inselbetrieb möglich sein. Aber jeder junge Mensch, der heute den Beruf des Eisenbahners oder Lokführers erlernt, wird auch mit diesem Beruf mit hoher Wahrscheinlichkeit in den Ruhestand gehen – auch wenn sich das Arbeitsumfeld vermutlich weiter verändern und stärker digitalisieren wird.

Training am Simulator: So werden künftige Lokführer auf ihren Einsatz auf der Strecke vorbereitet.
Training am Simulator: So werden künftige Lokführer auf ihren Einsatz auf der Strecke vorbereitet. © Marit Langschwager / Funke Foto Services | Marit Langschwager / Funke Foto Services

Und wie attraktiv ist der Beruf für junge Leute?
Die Bewerbersituation ist sehr schwankend. Mal haben wir viele gute Bewerber und manchmal gibt es Phasen, da tun wir uns eher schwer. Was man merkt: Wenn in einer Region Industriearbeitsplätze abgebaut werden, dann kommen Menschen mit technischem Hintergrund vermehrt auf uns zu. Unser großer Vorteil sind die sehr sicheren Arbeitsplätze. Aber es ist halt auch ein 365-Tage-24-Stunden-Beruf, das kann man nicht wegleugnen. Gleichzeitig muss man festhalten: Die Tarifabschlüsse der letzten Jahre haben dafür gesorgt, dass der Beruf nicht nur finanziell lohnender, sondern auch planbarer geworden ist, was sichere Urlaube oder freie Wochenenden angeht. Wir als Vias haben es jedenfalls geschafft, es  so zu gestalten, dass wir in NRW bislang noch nicht bestreikt wurden.

Wie sieht das mit der wohnortnahen Beschäftigung aus?
Wir tun uns im Ballungsraum leichter, in ländlichen Regionen wie beispielsweise am Niederrhein ist es schwieriger. Da müssen wir das den Leuten noch mehr vermitteln, dass wir gute Jobs anbieten. Nahverkehr im Allgemeinen hat auf dem Land nicht überall das beste Image. Wenn beispielsweise nur zweimal am Tag der Bus kommt, fehlt schon alleine die Präsenz. Und Schienenwege gibt es auch nicht mehr überall. Da wurde in den letzten Jahrzehnten viel stillgelegt. Anders als im Ballungsraum, wo alle fünf Minuten ein Zug fährt. Da ist der Schienenpersonennahverkehr viel mehr Teil des Alltags. Jetzt ist klar, dass wir das Niederrheinnetz bis 2036 betreiben werden, deswegen suchen wir auch gerade im Bereich Emmerich und Wesel nach Leuten, auch sehr gerne Quereinsteiger, und können Ausbildungen bis hin zum internationalen Lokführer anbieten.

Flügelzug. Das klingt so romantisch. Ist aber verzwickt. Von Düsseldorf bis Wesel fährt der RE19 mit zwei Zugteilen. Der erste kann (hoffentlich) technisch auch bis Arnheim fahren, der zweite biegt dort über Hamminkeln nach Bocholt ab.
Flügelzug. Das klingt so romantisch. Ist aber verzwickt. Von Düsseldorf bis Wesel fährt der RE19 mit zwei Zugteilen. Der erste kann (hoffentlich) technisch auch bis Arnheim fahren, der zweite biegt dort über Hamminkeln nach Bocholt ab. © FUNKE Foto Services | Ant Palmer

Wo drückt Ihnen der Schuh am meisten?
Sicherlich wird uns das Thema Infrastruktur in den nächsten Jahren, Jahrzehnten am meisten zu schaffen machen. Insbesondere, wenn sich die Baustellenplanungen immer wieder kurzfristig ändern. Beim Personal sehen wir erste Erfolge der Anstrengungen. Die Fahrzeuge und ihre Technik werden gleichzeitig auch immer komplizierter und technisch anspruchsvoller. 

Blick in die Zukunft: Am Ende der 80-Wochen-Sperrung zwischen Oberhausen und der Landesgrenze kann man wieder zuverlässig mit dem RE19 fahren – auch nach Arnheim?
Das ist unser Anspruch. Und wir wollen auch vorher in den Zeiten der Teilsperrung zuverlässig fahren. Die Herausforderungen liegen allerdings nicht nur im Personal, sondern es ist auch extrem schwierig, gerade für die Fahrzeuge, die in die Niederlande fahren, die Versorgung mit Ersatzteilen sicherzustellen. 2024 war sicherlich nicht unser bestes Jahr am Niederrhein. Insbesondere auf dem Abschnitt in die Niederlande hatten wir viele Herausforderungen. Wir wollen, ich sagte es am Anfang, jeden Zug sauber, technisch intakt, mit unserem gut ausgebildeten Personal pünktlich fahren. Allerdings sind die Rahmenbedingung derzeit extrem schwierig und verlangen unseren Kunden und uns viel Geduld ab.