Sprockhövel. Nackt ist hier normal: Die Familien-Sport-Gemeinschaft Wuppertal gibt es seit 100 Jahren. Ein Besuch auf dem Vereinsgelände.
Wäre es an diesem Morgen nicht stürmisch und arg frisch, hätten womöglich Hans-Joachim Papsdorf und Joachim Stamm die Gäste von der Zeitung im Adams-Kostüm in ihrem kleinen Paradies empfangen: nackt, wie Gott sie schuf. Denn bei den beiden Männern handelt es sich um den 1. Vorsitzenden und den Sportwart der „Familien-Sport-Gemeinschaft Lichtbund Wuppertal“ - ein FKK-Sportverein, der am 29. Juni sein 100-jähriges Bestehen feiert.
Das „kleine Paradies“ – so lautet die liebevolle Eigenbeschreibung von Papsdorf und Stamm für das 80 Hektar große Gelände – ist am Rande der Stadt Sprockhövel hinter einem grünen Metalltor mit der Aufschrift „Familien-Sport-Gemeinschaft Lichtbund Wuppertal“ angesiedelt. Es liegt in unmittelbarer Nähe des Autobahndreiecks Wuppertal-Nord, an dem sich die Fernstraßen A1, A43 und A46 treffen.
Vorsitzender Papsdorf wird in diesem Jahr 70, was man ihm beileibe nicht ansieht. „Der Sport hält fit“, sagt der drahtige Rentner und zwinkert mit den Augen, während man auf den Vereinsslogan auf seiner dunkelblauen Fleecejacke blickt. „Sportlich – fröhlich – nackt“, steht dort geschrieben. Ähnlichkeiten zum Wahlspruch aus seligen Turnvater-Jahn-Zeiten („Frisch - fromm - fröhlich - frei“) sind womöglich alles andere als zufällig.
20 Sportarten auf dem Programm
Papsdorf und Stamm begrüßen die Besucher und führen sie über das riesige Vereinsgelände, auf dem der prächtige alte Baumbestand dafür sorgt, dass der Fahrzeuglärm von den nahen Autobahnen deutlich gedämpft ankommt. Bogenschießen, Boule, Laufen, Radfahren, Schwimmen, Tanzen, Tennis, Tischtennis und Walken sind einige der insgesamt 20 Sportarten, die beim Lichtbund Wuppertal betrieben werden. „Jedes unserer 410 Mitglieder hat die Möglichkeit, dies bei schönem Wetter unbekleidet zu tun“, sagt Sportwart Stamm. Ausnahme: Die „Kleiderordnung“ für die täglich stattfindenden Fitness- und Gesundheitskurse in der Sporthalle. Da bleiben die Klamotten an.
Lässt es das Wetter zu, bewegen sich die Vereinsmitglieder auch fernab sportlicher Betätigung auf der 80-Hektar-Fläche hüllenlos. „Wir kennen uns alle schon so lange“, sagt Vorsitzender Papsdorf, „da schaut niemand mehr irgendwo hin.“
Der 69-Jährige kam vor vielen Jahren im Kroatien-Urlaub zur Freikörperkultur. „Ich war mit meiner damaligen Verlobten und heutigen Ehefrau in einer Anlage mit abstoßendem Hotelstrand. Furchtbar!“, sagt er und schildert die Begegnung mit zwei älteren Frauen in einer einsamen Bucht. „Beide lagen nackt im Sand. Eine war Ärztin und erzählte uns, wie gesund der Verzicht auf Textilien ist.“ Hans-Jürgen Papsdorf blickt in die fragenden Augen des Reporters: „Sind Sie schon einmal mit einer nassen Badehose herumgelaufen? Das ist doch nicht schön, oder?“
Bezeichnung FKK sei in Verruf geraten
Alles andere als schön findet der Vereinschef auch, dass die Bezeichnung „FKK“ nach seiner Auffassung in Verruf gekommen ist. „Googeln Sie mal den Begriff FKK“, sagt er, „da kommen nur irgendwelche Schmuddelseiten.“ Also verwendet der Lichtbund Wuppertal heute eher das FKK-Synonym Naturismus: „Sport unbekleidet zu betreiben ist eine Lebenseinstellung“, erklärt Papsdorf, „wenn man das einmal gemacht hat, möchte man es nicht mehr anders machen. Man erlebt ein Gefühl von Freiheit.“
Sportwart Joachim Stamm (69), ebenfalls rank und schlank, steht neben ihm und spricht von einer „Haltung im Einklang mit der Natur. Wir bewegen uns als Menschen ohne Unterschiede. Nacktheit macht alle gleich, ob den Vorstandschef oder die Reinigungskraft.“ Sein Vorsitzender Papsdorf pflegt in diesem Zusammenhang zu sagen: „Kleider machen Leute. Ohne Kleider machen Menschen.“
„Sind Sie schon einmal mit einer nassen Badehose herumgelaufen? Das ist doch nicht schön, oder?“
Bewegt man sich auf dem von großen Hecken und Zäunen umrahmten Vereinsgelände, könnte man zwischenzeitlich den Eindruck gewinnen, dass man sich auf einem Campingplatz oder in einer Kleingartenanlage befindet. Spricht man Joachim Stamm darauf an, muss er erst einmal lachen. „Wir haben hier zwar 86 Wohnwagenstellplätze und 37 Wohnhütten. Aber wie Sie sehen, sind die sehr individuell gestaltet.“
Man habe zwar eine Geländeordnung und eine Vereinssatzung, die seien aber keinesfalls übersät mit kleinlichen Regeln. Neumitglieder merkten sehr schnell, dass es beim Lichtbund Wuppertal alles andere als spießig zugehe. Und: „Wir leben hier Gemeinschaft.“ Das zeige sich unter anderem am Bouleplatz. „Das Boulespielen ist bei unseren Mitgliedern sehr beliebt. Es verbindet wunderbar die Elemente, Sport zu treiben und sich zu unterhalten.“
Hüllenlos oder bekleidet? „Wir sind nicht dogmatisch“, so Stamm weiter, „letztlich bleibt es jedem selbst überlassen, ob er sich seiner Kleidung entledigt.“ Ausnahme: Der Aufenthalt im Schwimmbecken muss laut Vereinssatzung nackt erfolgen.
„Nackt-Krise“ in Deutschland?
Dem Deutschen Verband für Freikörperkultur zufolge gibt es hierzulande etwa 135 FKK-Sportvereine. Nach Angaben des Dachverbandes Familien-Sport-Gemeinschaft NW praktizieren 30 Vereine in Nordrhein-Westfalen „Naturismus“ (Freikörperkultur), darunter auch der FSG Siegen mit Vereinsgelände in Burbach-Lützeln. Und doch mehren sich bundesweit Berichte über Nachwuchsprobleme. Selbst die „Bild-Zeitung“ macht sich Sorgen: „FKK stirbt aus: Nackt-Krise in Deutschland“, titelte sie kürzlich.
„Glücklicherweise kommt bei uns im Moment noch genug nach“, beruhigt Lichtbund-Wuppertal-Vorsitzender Papsdorf, „erst vor wenigen Wochen haben wir ein 29 und 30 Jahre altes Paar aufgenommen.“ Es gebe eine Reihe junger Familien mit Kindern auf dem Gelände – davon zeugt das große Trampolin neben Freibad und Sporthalle –, bei vielen Mitgliedern habe der FKK-Sport eine Familientradition.
Wenn übrigens Mitglieder Gäste auf dem Gelände empfangen wollen, müssen sie das anmelden. „Hier kommen keine Unbefugten auf das Gelände“, sagt Hans-Joachim Papsdorf. Man sei in einem geschützten Raum. Aber in einer anderen Welt, wenn man beim Betreten der Anlage das grüne Eingangstor hinter sich schließe, ergänzt Sportwart Joachim Stamm: „Der Alltag fällt von einem ab. Es ist ein Rückzugsort. Wenn man so will, eine heile Welt auf Zeit.“
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