Hagen/Marl. Entgegen dem Branchentrend vermeldet der Buchhändler Thalia ein dickes Umsatzplus. Auf TikTok sorgt die Community BookTok für neue Lust am Buch.
Entgegen dem Branchentrend steigert das Buchhandelsunternehmen Thalia mit Sitz in Hagen den Absatz im stationären Geschäft. Während der deutschsprachige Buchhandel insgesamt weniger Bücher zu einem höheren Preis umsetzt, gehen bei Thalia auch die Stückzahlen der verkauften Titel hoch. Die Ursache: Junge Leute kaufen wieder mehr Bücher, dank BookTok und dank dem Kulturpass. Ingo Kretzschmar (44) ist Vorsitzender der Geschäftsführung von Thalia. Der Hagener erläutert, warum es junge Menschen wieder in die Buchläden zieht.
Was ist denn eigentlich BookTok?
Ingo Kretzschmar: BookTok ist eine Community auf der Social-Media-Plattform TikTok, und diese Community wächst rasant, alleine wir bei Thalia haben in kürzester Zeit mehr als 155.000 Follower bei TikTok gewonnen. Die jungen Nutzer empfehlen und rezensieren dort Bücher und diskutieren darüber. Die derzeit erfolgreichsten Posts auf TikTok zeigen, wie junge Menschen in Buchhandlungen gehen und sich dabei filmen, wie sie vor Buchregalen stehen und nach ihren Lieblingstiteln suchen.
Und die jungen Leute filmen nicht nur, sie kaufen auch?
Und wie! Es hat sich tatsächlich eine Internet-Community etabliert, in der das gedruckte Buch einen großen Stellenwert hat. Da werden Bestseller gemacht. Es sind überwiegend junge Frauen, die dort engagiert sind. Die kommen in die Buchhandlung und gehen mit 6, 7, 8 gekauften Büchern wieder raus. Wir schaffen es, dank Social Media, Mangas, New Adult Romanen, englischsprachigen Titeln und dem Kulturpass, junge Leute wieder in die Buchhandlungen zu holen. Allein über den Kulturpass haben wir in vier Monaten mehr als 100.000 Bücher verkauft.
Kritik aus der Branche
Die Branche steht diesen Phänomenen kritisch gegenüber.
In der Branche wird über diesen Glücksfall tatsächlich noch diskutiert, manche sind der Meinung, dass die jungen Leute zu wenig literarisch anspruchsvolle Bücher kaufen. Was haben wir vor zwei Jahren noch überlegt, wie wir Jugendliche wieder fürs Lesen begeistern können. Und mir wird nun tatsächlich vorgehalten, dass ich das englischsprachige Buch so forcieren würde, dass es die deutschsprachigen Bücher aus der Regalpräsenz verdrängte. Wir haben in mehr als 100 unserer Buchläden inzwischen eigene BookTok-Bestsellerwände und -tische, weil die Jugendlichen reinkommen und fragen, ob wir diese Bücher vorrätig hätten. Ich habe immer gesagt: Das Buch findet seinen Weg zu den Kunden. Und jetzt ist Social Media der Weg.
Die Buchhandlungen sind nicht mehr Ihr einziger stationärer Vertriebsort, man findet selbst im Lebensmitteleinzelhandel immer häufiger Bücherwände.
Grundsätzlich haben wir im Lebensmitteleinzelhandel Bestsellerwände und bis zu 80 Quadratmeter große Shop-in-Shops, da sind wir wirklich gut unterwegs. Wir haben inzwischen 2800 Verkaufsflächen in Supermärkten, und bei 250 davon treten wir als Shop-in-Shop tatsächlich mit dem Thalia-Branding auf. Wir haben im vergangenen Jahr 50 neue Shops eröffnet und planen jetzt 200 neue Flächen. Bestimmte Zielgruppen erreichen wir nicht mit der Buchhandlung oder thalia.de allein. Und dazu kommt, dass wir mit der Präsenz im Lebensmitteleinzelhandel auch die Präsenz des physischen Buches in der Fläche sichern. In manchen Ortschaften haben die 80-Quadratmeter-Flächen schon fast das Niveau einer örtlichen Buchhandlung, mit Click-and-Collect-Möglichkeiten und weiterem Service. Dadurch bleibt die Buchinfrastruktur, die Verfügbarkeit von Büchern in den Städten bestehen, und die Menschen wandern nicht zu Amazon ab.
Neue Partnerschaften
Je mehr Thalia mit seiner Omni-Channel-Strategie wächst, desto mehr sorgt sich die Branche, dass Thalia das neue Amazon werden könnte, mit negativen Folgen für die Vielfalt im Buchmarkt.
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Als großer Buchhändler sind wir für die Branche offenbar nicht immer sexy. Dabei steht auch Thalia hinter der Vielfalt des Buchhandels, die tut der gesamten Branche gut. Man darf nicht vergessen, warum wir unser Omni-Channel-Konzept entwickelt und daran geglaubt haben. Dem deutschen Buchhandel drohte, wie in anderen Ländern bereits geschehen, von Amazon überrollt zu werden. Dem haben wir uns bei Thalia entgegengestellt, indem wir die digitalen Angebote ausgebaut, uns stationär und digital verzahnt haben. Ein anderer Aspekt ist das Thalia-Partnermodell.
Partnermodell heißt, sie übernehmen inhabergeführte Buchhandlungen in den Klein- und Mittelstädten, also Flächen, die früher für Sie uninteressant gewesen wären?
Wir übernehmen auch kleinere Buchhandlungen, etwa dann, wenn der bisherige Inhaber diese beispielsweise aus Altersgründen nicht mehr selbst weiterbetreiben möchte. Das Thalia-Partnermodell meint etwas anderes: Dabei bleibt der Inhaber eigenständig und partizipiert zugleich von unserer Stärke. Da gibt es eine große Bandbreite von Möglichkeiten. Die reicht von Buchhändlern, die sagen: Ich beziehe nur meine Ware über Thalia und nutze deren IT, bis zu Kollegen, die bitten: Wir wollen eine Thalia-Marke werden. Wir stellen unsere Infrastruktur, auch digital, zur Verfügung, der Buchhändler kann selbst entscheiden, wie viel er noch selbst disponiert. Unter anderem mit der Buchhandlung Dreimann in Olpe haben wir das seinerzeit als Pilotprojekt ausprobiert, aufgrund der Rückmeldungen von Inhaber Georg Spielmann haben wir die Rahmenbedingungen für das Modell erarbeitet. Derzeit haben wir in Südwestfalen neben Olpe eine Partnerschaft mit der Buchhandlung Mankelmuth in Bad Berleburg, der Buchhandlung Thalia Flemming in Marsberg, und die „Die Buchhandlung“ Herdecke haben wir jetzt übernommen. Auch dort war eigentlich ein Partnermodell geplant, doch nach deren Insolvenz war diese Lösung nicht mehr möglich. Jetzt wird die bisherige Inhaberin die dortige Leitung, unterstützt von ihrem alten Team.
Das Geld nicht zu Amazon gehen lassen
Wenn die inhabergeführte Buchhandlung nicht wirtschaftlich arbeiten kann, wieso rechnet es sich dann für Sie?
In vielen Kommunen gehen Umsätze im hohen sechsstelligen Bereich an den lokalen Buchhandlungen vorbei zu Amazon. Es liegt ist also Potenzial da, das ist unsere Chance. Die Buchhandlungen, die unsere Partner sind, steigern deutlich ihren Rohertrag, machen in der Summe mehr Umsatz pro Kunde. Aktuell sind 80 Buchhandlungen Teil unseres Partnermodells, darunter 61 Buchhandlungen von Osiander und 19 weitere Standorte mit insgesamt 10 kleineren Buchhändlern. In den kommenden Monaten forcieren wir nun den Ausbau des Modells für den unabhängigen Buchhandel.
100 Millionen Euro für Marl
Sie investieren stark, jetzt 100 Millionen Euro in ein Omni-Channel-Hub in Marl, also einen Knotenpunkt für alle stationären und digitalen Vertriebskanäle. Was soll da passieren?
Wir werden im Omni-Channel-Hub in Marl von der Warenkommissionierung bis hin zu innovativen Produktionstechnologien unterschiedliche Prozesse realisieren. Dazu gehört auch Print on Demand, also Drucken nach Bedarf. Heute muss man nicht immer alle Bücher physisch vorrätig haben, da ist es sinnvoller, wir erhalten die Drucklizenzen und drucken bei Bedarf selbst. Thalia ist in den vergangenen Jahren durch die Weiterentwicklung der Omni-Channel-Strategie, d.h. durch die Verzahnung des digitalen und stationären Geschäfts im Sinne der Kunden, stark gewachsen. Das bringt auch neue Anforderungen an die Wertschöpfungsketten mit sich, darauf reagieren wir. Hinzu kommt, dass die Leistungsfähigkeit der bestehenden Strukturen der Branche für uns nicht mehr ausreicht.
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Wieso Marl?
Wir sind NRW als Unternehmen verbunden, wir haben unseren Sitz in Hagen und ein sehr enges Netzwerk an Buchhandlungen in NRW. Die Situation in Marl ist sehr, sehr gut. Dort steht am gate.ruhr entsprechendes Bauland zur Verfügung, alle Parteien im Rat der Stadt sind sich einig, dass sie unsere Investition wollen, die Strukturen stimmten, es gab viel Unterstützung, die Verkehrsanbindung ist gut. Wir rechnen damit, dass dort in der vollen Ausbaustufe bis zu 1000 Arbeitsplätze entstehen.