Berlin.. Der Verfassungsschutz steht wegen der Pannen bei der Verfolgung der Neonazi-Zelle NSU auch nach dem Rücktritt seines Präsidenten Heinz Fromm unter Druck. Die Aktenvernichtung bezeichnete der Vorsitzende des Neonazi-Untersuchungsausschusses als einen “skandalösen Vorgang“.

Keine Atempause für den Bundesverfassungsschutz: Auch nach dem Rückzug seines Präsidenten Heinz Fromm hält die Kritik an der Ermittlungsarbeit des Geheimdienstes zur Mordserie der Terrorzelle Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) an. Der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir forderte eine vollständige Überprüfung der Sicherheitsbehörden. Der Vorsitzende des NSU-Bundestagsuntersuchungsausschusses, Sebastian Edathy (SPD) nannte die Löschung von Ermittlungsdaten einen unglaublichen Skandal. Ausschussmitglied Patrick Kurth (FDP) dachte laut über rechtliche Schritte nach.

Beim Bundesverfassungsschutz waren noch kurz nach Bekanntwerden der Mordserie der rechtsextremen Terrorgruppe NSU, der bundesweit zehn Tote zur Last gelegt werden, Ordner mit Details zu einer Geheimoperation geschreddert worden, bei der es um den Einsatz von V-Leuten ging.

Özdemir sagte dem "Hamburger Abendblatt": "Der Verfassungsschutz auf Bundes- und Landesebene gehört komplett auf den Prüfstand." Die vergangenen Monate hätten gezeigt, dass die Aufklärung und Erneuerung allein aus der Behörde heraus nicht funktioniere.

Stoff für Verschwörungstheoretiker

Edathy kündigte an, dass in der Ausschusssitzung am Donnerstag neben Fromm voraussichtlich auch der direkt für die Akten-Vernichtung verantwortliche Referatsleiter als Zeuge gehört werde. "Die skandalöse Vernichtung einschlägiger Akten ist nicht dazu geeignet, Verschwörungstheorien den Boden zu entziehen", sagte Edathy der "Mitteldeutschen Zeitung".

NSU-Untersuchungsausschussmitglied Kurth sagte dem Blatt: "Wir sind nahe an dem Zeitpunkt, zu dem geprüft werden muss, inwiefern die Parlamentarier auch juristisch gegen falsche Aussagen und Vertuschung vorgehen können."

CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach sagte, der Rücktritt Fromms erledige das Thema keineswegs. "Allein bei persönlichen Konsequenzen für den Präsidenten wird es wohl nicht bleiben können", sagte er dem "Kölner Stadt-Anzeiger".

Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Ole Schröder (CDU), forderte im "Hamburger Abendblatt" Konsequenzen für die Zusammenarbeit der Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern.

Türkische Gemeinde fragt nach Verquickungen mit NSU

Hamburgs Leiter der Verfassungsschutzbehörde, Manfred Murck, sprach sich für eine Stärkung der Landesämter aus. "Nicht überall ist eine Zentralisierung der Arbeit fachlich angebracht und effizient", sagte Murck der Zeitung. "Gerade in vielen operativen Aufgaben sollten künftig eher die vor Ort besser aufgestellten Landesämter gestärkt werden.

Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat, fragte, ob es eine Verquickung des Verfassungsschutzes mit den Terroristen gab. Nachdem der NSU aufgeflogen sei, habe er noch sehr viele Fragezeichen hinter diesen Verdacht gemacht. "Heute kann ich maximal noch ein Fragezeichen machen. Ich habe heute überhaupt kein Vertrauen mehr in die Sicherheitsorgane - in den Verfassungsschutz schon gar nicht", sagte Kolat der "Berliner Zeitung". (dapd/afp)