Berlin/Ankara.

“Diese Aussagen sind allesamt Unsinn“: So titelt die türkische Zeitung Hürriyet ihr Interview mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Hauptthema sind die Thesen von Bundesbankvorstand Thilo Sarrazin (SPD), die Merkel ablehnt.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat in einem Interview mit der türkischen Zeitung „Hürriyet“ deutlich gemacht, dass sie die umstrittenen Thesen von Bundesbankvorstand Thilo Sarrazin (SPD) zur Integration ablehnt. Sarrazins Argument, Deutschland werde durch türkische und andere muslimische Einwanderer dümmer, sei „Unsinn“, sagte Merkel in dem am Freitag veröffentlichten Interview auf der „Europa“-Seite der Zeitung.

Sie könne Sarrazins Äußerungen nicht akzeptieren, sie wirkten ausgrenzend. „Ganze Gruppen in unserer Gesellschaft fühlen sich dadurch verletzt“, so Merkel. Das Thema Integration sei eines der wichtigsten unserer Zeit. Merkel: „Wir müssen es sachlich diskutieren und dürfen nicht Abneigung und Widerwillen wecken. Das erschwert die Integration anstatt sie zu fördern.“

„Viele Beispiele für gelungene Integration“

„Diese Aussagen sind allesamt Unsinn“ - In gewohnt großen Lettern reißt die „Avrupa“-Seite der Hürriyet am Freitag das als „exklusiv“ angepriesene Interview mit Bundeskanzlerin Angela Merkel an. Beinahe triumphierend zitiert die auflagenstärkste türkische Zeitung Merkels Aussagen, fett gedruckt Passagen wie jene: „In Deutschland gibt es viele Beispiele für gelungene Integration.“ Betrachtet man die Berichterstattung türkischer Medien bezüglich der Aussagen von Bundesbankvorstand Thilo Sarrazin, so leuchtet ein, dass die Hürriyet hier einen Coup gelandet hat. Mehrfach war der ehemalige Berliner Finanzsenator als „Rassist“ bezeichnet worden, selbst die wenig boulevardeske Zeitung „Radikal“ verstieg sich dazu, Sarrazin mit Hitler zu vergleichen.

Während die „Hürriyet“ also das Merkel-Interview als weitere Waffe im medialen Kampf gegen Thilo Sarrazin inszeniert, stellt sich die Frage, welchen Nutzen Angela Merkel davon hat, auf dem Höhepunkt einer emotional geladenen Integrations-Debatte im Leitmedium der türkischen Community (Auflage: 40 000) das Wort an ebendiese zu richten. Das Ganze weckt Erinnerungen an den Auftritt des türkischen Ministerpräsidenten im Februar 2008. Recep Tayyip Erdogans Rede vor 16 000 Türken in der Köln-Arena löste deutschlandweit Proteste aus. Besonders seine Aussage „Assimilation ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ sorgte für Zündstoff.

Retourkutsche auf Erdogans Köln-Rede

Nicht nur indirekt kann das „Hürriyet“-Interview als eine Art Retourkutsche auf die damalige Rede Erdogans verstanden werden, Merkel geht auch direkt darauf ein. Die Frage des Deutschland-Redaktionsleiters Ahmet Külahçı „Was bedeutet für Sie die Präsenz der türkischstämmigen Menschen in der Bundesrepublik Deutschland?“ beantwortet Merkel folgendermaßen: „Es leben ja sehr viele Türken und türkischstämmige Menschen in Deutschland, oft schon in der dritten und vierten Generation. Und die meisten von ihnen, so denke ich, haben sich inzwischen sehr gut integriert. Trotzdem bleibt die Integration (...) eine wichtige Aufgabe. Dabei sage ich ganz deutlich: Wir verstehen darunter keine erzwungene Assimilation oder das Leugnen der eigenen Wurzeln.“

Merkel geht auch auf eine gemeinsame Diskussionsrunde mit Ministerpräsident Erdogan sowie deutschen und türkischen Schülern bei seinem Besuch im Kanzleramt ein und wiederholt, was sie damals schon gesagt habe: „Wenn die türkischstämmigen Menschen, die hier leben, Sorgen und Nöte haben, dann bin ich Bundeskanzlerin auch für sie.“