Unna.

Der Brandbrief des Kreisvorsitzenden der Polizeigewerkschaft über das schlechte Betriebsklima in der Kreispolizeibehörde schlägt weiterhin hohe Wellen.

Am Mittwoch meldeten sich Unnaer Polizeibeamte, aber auch der Dortmunder Hauptkommissar und Sprecher des Vereins „Polizeiaktion – Wir“, Gerd Stappert (55), in unserer Redaktion in Unna. Sie alle bestätigten die Vorwürfe des Polizeigewerkschafters Andreas Kaltenberg.

Auch wenn sich Kaltenberg von seinem Brandbrief, in dem er die Unzufriedenheit unter den Polizisten zum Thema gemacht hat, öffentlich distanziert hat: Stappert, seit 40 Jahren im Job, kann die Kritik gut nachvollziehen. „Das ist kein Unnaer Problem, überall sind die Polizeidienststellen chronisch unterbesetzt, da genügt oft eine Kleinigkeit, bis ein Kollege platzt“, sagt Stappert. Er ist der einzige Polizist, dessen Namen wir veröffentlichen dürfen.

„Kleinstdelikte wie Pkw-Aufbrüche können gar nicht mehr richtig bearbeitet werden“, sagt er. Dieser Flut an Vergehen würden die wenigen Kollegen gar nicht mehr Herr. Stappert bestätigt das, was Kaltenberg bereits öffentlich gemacht hat. „Es wird alles unternommen, einen Vorgang tot zu machen“, sagt Stappert. „Tot machen“ bedeutet: das Verfahren wird ohne Ermittlungserfolg möglichst schnell abgeschlossen, sprich eingestellt, damit die Akte vom Schreibtisch verschwindet. Stappert formuliert daraus keinen Vorwurf an die Kollegen: „Mit dieser dünnen Personaldecke müssen Prioritäten gesetzt werden, anders geht das gar nicht.“ In der Kreispolizeibehörde spricht man aber nicht von „tot machen“, sondern von „toten Vögeln“.

Immer öfter und immer schneller werden deshalb kleinere Delikte von der Staatsanwaltschaft eingestellt. „Es bleibt gar nicht die Zeit für Ermittlungsarbeit“, sagt Stappert. Wo es keinen Ermittlungsansatz gibt, werde auch keiner mehr gesucht. Das gelte natürlich nicht für Kapitaldelikte oder „medienwirksame Verbrechen“. Das bestätigen auch Polizeibeamte aus der Kreispolizeibehörde. Stappert sieht die Landesregierung in der Pflicht. „Die 1 100 Neueinstellungen, die so groß vorgestellt werden, sind Augenwischerei“, sagt Stappert. Etwa 300 würden im Vorfeld aussteigen, und die noch verbleibenden 800 deckten nicht den Bedarf an ausscheidenden Beamten.

Neben der hohen Arbeitsbelastung beklagen Beamte in Unna auch Mängel in der Personalführung. Beispiel K-Wache. Kripo-Beamte in Zivil schieben dort ihren Dienst in der Spät- oder Nachtschicht – durchgehend. „Das ist das K.O. für jedes Privatleben, an Familienplanung, die nur vormittags stattfinden kann, ist gar nicht zu denken“, sagen die Beamten.

Einige ihrer Vorgesetzten beschreiben die Ermittler mit einer Abkürzung, wie für so vieles im Polizeijargon: „Edeka“. Bedeutet: „Am Ende der Karriere“. Sie impliziert mangelnde Leistungsbereitschaft, wenn weder Beförderungen noch Degradierung bevorstehen. Das trifft natürlich nicht auf jeden Polizeibeamten zu, sorgt aber auch im Einzelfall für hohes Frustpotenzial und schlechtes Arbeitsklima.