Essen.
Charlotte Knobloch (78) gibt nach einem Führungsstreit den Präsidenten-Posten beim Zentralrat der Juden an Dieter Graumann (60) ab. Erstmals übernimmt dann ein Mann das Amt, der den Holocaust nur aus den Erzählungen der Älteren kennt.
Der Zentralrat der Juden in Deutschland steht vor einem Epochenwechsel. Charlotte Knobloch, die große alte Dame des deutschen Judentums, wird am Sonntag ihr Amt als Präsidentin an einen Jüngeren abgeben.
Die 78-Jährige stand vier Jahre lang an der Spitze des Dachverbands, dem rund 100 jüdische Gemeinden mit etwa 110 000 Mitgliedern angehören. Wenn es so kommt, wie es sich andeutet und ihr Vize Dieter Graumann (60), gewählt wird, dann übernimmt zum ersten Mal jemand dieses Amt, der den Holocaust nur aus den Erzählungen der Älteren kennt.
Streit um die Amtsführung von Knobloch
Eine Zäsur für die Organisation, die mit einer neuen Ausrichtung verbunden ist. Denn zu den wichtigsten Aufgaben des Zentralrates gehört es, die Erinnerung an den Holocaust wachzuhalten. Wer ihn nicht selbst erlebt hat, wird anders mit dieser Erinnerung umgehen als jemand, der ihm entkam. Das zeichnet sich bereits ab. Dem Wechsel ist vor Monaten ein Streit um die Amtsführung von Knobloch vorausgegangen. Sie habe sich zu einseitig um das Wächteramt über den Umgang mit der NS-Vergangenheit gekümmert, hieß es, die Integration der osteuropäischen Juden sei zu kurz gekommen. Damals hatte Charlotte Knobloch angekündigt, im November nicht mehr anzutreten.
Doch resigniert gehe sie nicht, „keine Spur”, sagte sie kürzlich der Süddeutschen Zeitung. Und sie sei die erste Zentralratspräsidentin, die nicht im Amt gestorben ist. Als „Schleudersitz ins Jenseits“ hatte sie den Posten früher bezeichnet. Doch sie könne sehen, was entstanden sei.
Resolut und elegant
Den Zentralrat zu führen, dürfte indes das exponierteste Ehrenamt sein, das es hierzulande gibt. Knobloch bewegte sich in den vier Jahren keinen Schritt ohne Personenschützer. Auch nicht, als sie am vergangenen Wochenende in Rom dabei war, als der katholische Erzbischof ihrer Heimatstadt München, Reinhard Marx, zum Kardinal geweiht wurde. Er hatte sie dazu eingeladen. Aber die resolute, stets sehr elegant gekleidete Dame, ertrug auch die Personenschützer mit Disziplin. Sie tat es auch im Bewusstsein, das Schlimmste hinter sich zu wissen. Das war ihre Kindheit unter den Nazis. Sie erlebte den Holocaust auf einem Bauernhof in Franken. Die katholische Haushälterin der Familie hatte sie dort als ihre uneheliche Tochter versteckt.