Spiekeroog. Sterneninsel: So darf sich seit August die Nordseeinsel Spiekeroog nennen. Denn die Lichtverschmutzung ist gering und der Sternenhimmel besonders gut zu sehen. Meistens jedenfalls.
Wer in diesen Tagen die kleine Ostfriesische Insel Spiekeroog besucht, sieht tagsüber wintervermummte Gestalten. Sie genießen die Weite des Strandes oder umrunden die Alte Inselkirche von 1696. Für den Abend reserviert sich der kluge Gast einen Tisch, was im Dezember nicht ganz einfach ist, weil viele Betriebe vor Weihnachten geschlossen haben.
In späteren Stunden wird es dann ruhig auf der Insel. Ganz ruhig. Das Nachtleben war noch nie ein Grund, nach Spiekeroog zu fahren. Wobei die Fans der Kultkneipe Old Laramie im Westen der Insel das durchaus anders sehen könnten.
Seit ein paar Wochen lassen sich nachts allerdings ungewohnte Aktivitäten beobachten. Sternenfreunde, ausgestattet mit Spektiv und Fernglas, steuern die Dünenlandschaft im Norden und Osten des Dorfes an. Seit die International Dark-Sky Association (IDA) Spiekeroog im August 2021 zusammen mit Pellworm zur Sterneninsel ernannt hat, haben Profi- und Laien-Astronomen ein neues Ziel.
Sehenswürdigkeiten am Nachthimmel
Es gibt nicht viele Orte in Deutschland, an denen es so wenig künstliches Licht und damit so wenig Lichtverschmutzung gibt wie auf Spiekeroog. Hier lässt sich der nächtliche Sternenhimmel daher besonders gut beobachten, vor allem im Frühling und Herbst.
Drei sogenannte Himmelsbeobachtungsplätze wurden auf der Insel eingerichtet: ein "Lichtort", ein "Dunkelort" und ein "Sternenkieker-Ort".
Der "Lichtort" liegt auf einer 18 Meter hohen Aussichtsdüne beim Utkieker, einer Bronzeskulptur des Kölner Bildhauers Hannes Helmke.
Nach Einbruch der Dunkelheit sieht man allerlei. Im Norden die Positionslichter der Schiffe auf der Nordsee, im Osten das Licht des Leuchtturms von Wangerooge und im Süden die rot blinkenden Warnlichter der Windkraftanlagen auf dem Festland und die Lichtglocke über Wilhelmshaven. Sehr viel künstliches Licht also, dessen negative Auswirkungen auf einer Infotafel beschrieben werden.
So können zum Beispiel Zugvögel, die sich am Sternenhimmel orientieren, von ihren Flugrouten abgelenkt werden. Für nachtaktive Insekten werden die künstlichen Lichtquellen zu Todesfallen.
Blicke tief hinein ins All
Nur ein paar Schritte weiter nördlich, beim "Dunkelort" in einem Dünental, folgt das Kontrastprogramm: Legt der Sternenfreund hier den Kopf in den Nacken, schaut er "tief hinein ins All", sagt Swaantje Fock, die Leiterin des Nationalpark-Hauses auf Spiekeroog.
Wenn nicht gerade eine Wolkendecke den Blick verstellt oder der späte Mond sein Licht streut, präsentiert sich das Band der Milchstraße in ungewohnter Pracht.
Wer diesen Anblick lieber im Liegen genießen möchte, sollte weiter östlich den strandnahen "Sternenkieker-Ort" aufsuchen. Von zwei Holzliegen aus lässt sich entspannt ein Sternenhimmel studieren, der sich je nach Jahreszeit ganz unterschiedlich zeigt. Mitte Dezember ist zum Beispiel gegen Mitternacht mit bloßem Auge das Sternbild des Orion im Süden auszumachen.
Was uns die Dunkelheit lehren kann
Die Anerkennung als Sterneninsel ist für Swaantje Fock eine willkommene Gelegenheit, das Thema Dunkelheit von verschiedenen Seiten zu beleuchten. "Der Sterne-Fan merkt: Es ist wichtig, Licht zu reduzieren. Der Vogelkundler merkt, wie spannend Sterne sind. Und der Klimaaktivist entdeckt die beruhigende Wirkung und Tiefe des Kosmos." Die 48-Jährige feilt nun an einem Programm für Gruppen, Jugendliche wie Erwachsene, Einsteiger wie Profis.
Schon im kommenden Frühjahr sollen auch Sternenführungen für Einzelreisende angeboten werden. Um sich auf diese Aufgabe vorzubereiten, hat sich an einem tristen November-Wochenende eine Gruppe von Gästeführern bei einem Seminar mit den Besonderheiten des Sternenhimmels über Spiekeroog vertraut gemacht.
Der Referent war kein Geringerer als Andreas Hänel. Der Osnabrücker Astronom ist so etwas wie der Vater der Sternenparks in Deutschland. Lichtverschmutzung ist für ihn eine Art Lebensthema. Bis vor zweieinhalb Jahren leitete er noch das Planetarium in Osnabrück, nun ist der Rentner eine Art Reisender in Sachen Sternenparks.
Eine überraschende Entdeckung
Hänel war es auch, der im April 2019 am Strand und in den Dünen von Spiekeroog die Dunkelheit gemessen hat. Der Wert, der dabei herauskam, hat selbst ihn überrascht. Eine solche Dunkelheit messe man sonst nur an Orten wie dem australischen Outback, also fernab der Zivilisation. Als er Swaantje Fock davon erzählte, habe die einen richtigen Luftsprung gemacht. "So begeistert war sie."
Bei der Nationalpark-Verwaltung Niedersächsisches Wattenmeer, den Touristikern vor Ort und in der Gemeinde fand Hänel weitere Mitstreiter. Matthias Piszczan, zu dieser Zeit noch Bürgermeister auf Spiekeroog, stieg persönlich auf eine Leiter, schraubte diverse Leuchten auf und programmierte deren Lichtstärke um.
Lampen, die nicht umgerüstet werden konnten, wurden erneuert. Großbauten gibt es auf Spiekeroog nicht. Und der Hafen liegt auf der Südseite der Insel, weit weg von den Himmelsbeobachtungsplätzen.
Nun hoffen die Sterne-Aktivisten, dass alle Inselbewohner mitziehen. Ein Flyer wirbt für eine umweltfreundliche Beleuchtung an Privathäusern. Auch die Hoteliers müssten mit ins Boot, sagt Hänel. Freunde der Nacht sollten ein Zimmer bekommen, das sich gut verdunkeln lässt, damit nicht frühmorgens schon die Sonne durchs Fenster scheint. Ein spätes Frühstück wäre auch nicht schlecht.
Der Rest ist Glückssache. Das muss auch Andreas Hänel immer wieder erfahren. Für sein Seminar im November hatte er extra eine Nacht ausgesucht, in der der Mond um 23.11 Uhr untergeht. Optimal für einen Blick in den Sternenhimmel.
Tagsüber knüpfte Hänel seine ganze Hoffnung noch an ein kleines blaues Band, das sich über den Himmel spannte. Doch am Abend schoben sich dicke Wolken vor die funkelnde Sternenpracht. Dass sich auf den Inseln das Wetter oft schnell ändert, war in dieser Nacht kein Trost.
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