Bochum.. Den Kompass begreifen. Feuer zu machen, ohne Feuer zu haben. Einen Unterschlupf bauen für kalte Nächte im Wald: Das und mehr lernen die Teilnehmer am Wildnistraining in Bochum.

Gernot Hardes baut jetzt einen Laub-Schlafsack, und das zur öffentlich-rechtlichen Fortbildung. Drei Äste steckt der Umweltpädagoge zu einem hüfthohen Dreibein zusammen, unter das sich jemand legen könnte in verirrter Not. Und dann lässt Hardes seinen Kurs mal machen: durch diesen Wald stapfen, Äste auflesen, Laub sammeln, eigene Notschlafplätze bauen – da machen die Leute mit einer derart rotbackigen Begeisterung mit, „wir müssen noch viel mehr drauf legen“, dass man sich unwillkürlich fragt: Wann fällen sie hier den ersten Baum?

Dazu ist es nicht gekommen. Aber knapp!

Wenn Sie heute im Weitmarer Holz in Bochum über einen solchen Unterschlupf stolpern: Keine Angst! Hier wohnt nicht der schreckliche Waldmensch, das war nur die Volkshochschule. „Ökopädagogisches Wildnistraining“ nennt sie diesen Kurs und stellt Messer, Kompasse und den erdigen Geographen Hardes zur Verfügung. Für eine Art: Überlebenstraining im Schafspelz.

Morgens um elf an diesem goldenen Samstag haben sich 21 Städter auf einem Parkplatz am Wald getroffen, Frauen, Männer und Kinder; sie haben das Navi ausgemacht, die festen Schuhe angezogen und die Pudelmütze aufgesetzt. Warum nur, da man doch normalerweise nur äußerst schwer verloren geht in einem westfälischen Mischwald? „Beim Wandern kann man ja auch schnell in brenzlige Situationen kommen“, sagt zum Beispiel Ingrid Giersdorf; und Klaus Dietz sagt: „Karte einnorden, damit geht’s doch schon los.“

Damit geht’s tatsächlich los, mit einem Blitzkurs. Mein Kompass und ich. „Wir drehen jetzt die Rose des Kompass’, bis die Zahl zweihundertdreißig auf der grünen Markierung ist.“ Als alle das verstanden haben und eigentlich in dieselbe Richtung gucken müssten, gucken sie, man ahnt es schon, in alle möglichen. „Gleich am Anfang verloren zu gehen, ist schlecht“, sagt Hardes.

Dann geht es endlich, endlich in den Wald hinein, zu der Lichtung, dann zur Schutzhütte, abseits aller Wege und Pfade, immer den Kompass fest vor der Brust; über Brennnesseln und Hülsenkrabbel, durch Unterholz und die Brombeeren, über Stock und Stein und Stämme, die am Boden liegen. In diesem Wald sind sonst nur Spaziergänger und Jogger unterwegs, Herrchen, Frauchen, Reiter: Und jetzt dieser wilde, entflammte Haufen, Städter, wie von der Leine gelassen; nach circa 90 Minuten in der frischen Luft ist eine erste Verrohung zu bemerken: „Die Kinder haben ein totes Eichhörnchen gefunden!“ – „Prima, dann haben wir ja gleich Fleisch!“

Fast noch spannender zu beobachten ist die einsetzende Gruppendynamik unter lauter Menschen, die einander fremd sind. Nach wenigen Minuten Wald sind die üblichen Rollen besetzt, hat sich der Anführer gefunden („Wir warten jetzt auf die letzten beiden“), der Alleswisser („Das ist der MAGNETISCHE Nordpol“), der Clown („Da kommt Nahrung. Ein Hund!“), die Außenseiter („“), die Mitläufer. Alle da. Dreieinhalb Stunden später, als es einer Gruppe gelungen ist, mit einem einzigen Streichholz Feuer zu machen, wird der Anführer rufen: „Ich habe Feuer gemacht!“ Und er wird sich auf die Brust trommeln wie King Kong. Ironisch, natürlich, aber wirklich interessant: Zurück zur Natur im Affentempo.

Lang, weiß,
eklig, lebendig

Sie sitzen um das Feuer und sind müde, aber glücklich nach so viel Wald. Hardes hat eine Handvoll Forellen aus dem Rucksack gezaubert und in Astspalten geklemmt, damit sie grillen; dann holt er noch ein Honigglas heraus, das ist gefüllt mit Müsli und Riesenmehlwürmern. Lang, weiß, eklig, lebendig. Gegrillt, roh oder gar nicht: Das ist hier die Frage. Manche trauen sich. „Boah, die platzen ja im Mund“, ruft ein junger Mann. Auch einen Riesenmehlwurm?

Wer eigene Vorräte mitgebracht hat, ist jetzt echt im Vorteil.