Dortmund. Jeder will sie, alle streben nach ihr und dennoch ist sie nicht so recht zu fassen: Freiheit. Das Frauenfilmfestival legt darauf in diesem Jahr seinen Fokus - und wagt mit einer Auswahl von mehr als 100 Filmen Erklärungsversuche, die mitunter im peruanischen Dschungel landen.
"Ist der denn wohl gut?", fragt eine ältere Dame unentschlossen in das Foyer der Schauburg hinein und fuchtelt mit dem Programmheftchen in der Luft. Achselzucken und "Hört sich gut an", sind die einzigen Antworten. Denn von "Die Freiheit zu sein, wer man ist" hat kaum jemand je etwas gehört.
Mit dem Dokumentarfilm startet die Filmreihe "Freiheit". "Da haben wir ein richtiges Schätzchen ausgegraben", wird der 95-Minüter aus dem Jahr 1992 angekündigt - wie sich am Ende herausstellt, völlig zu Recht.
Indiana Jones aus Tirol
Die Geschichte des Festivals
Abwechselnd in Dortmund und KölnDas Internationale Frauenfilmfestival Dortmund/Köln entstand 2006 durch eine Fusion zweier Festivals in NRW: der femme totale (1986 in Dortmund gegründet) und der Feminale (1983 in Köln gegründet). Festivalleiterin ist Silke J. Räbiger. Im abwechselnden Turnus findet das Festival in beiden Städten statt. Die Filmzeitschrift „Schnitt“ aus Köln erscheint seit 1996 vierteljährlich mit einer Auflage von 10 000 Exemplaren. In der Ausgabe 02/2009 wird im Themenschwerpunkt die Zukunft der Filmfestivals diskutiert.
Herrliche Naturaufnahmen aus Peru bestimmen den ersten Teil des Films. Da sieht man einen Tiroler in Gummistiefeln durch den Urwald stapfen und Bananen pflücken. Wenig später findet sich die Linse in einem urbayerischen Wohnzimmer mit Kaffee und Kuchen auf dem Tisch sowie in einer klischee- wie rauchgeschwängerten Kneipe samt Männerstammtisch wieder. Und sie alle schwadronieren über den Ludwig, eine Art Tiroler Indiana Jones nur ohne Abenteuer und Happy End.
Die Filmemacher Erica und Paco Raban dokumentieren das Leben von Ludwig Solleder. Der Bauer und Hilfsarbeiter fasst 1953 den Entschluss, mit Frau und drei kleinen Kindern nach Südamerika auszuwandern. Dort schließen sie sich zunächst einer Kolonie deutscher Aussiedler in Pozuzo an. Als sich jedoch dort der Fortschritt des 20. Jahrhunderts bemerkbar macht, zieht sich Solleder mit seiner Familie enttäuscht in den tiefen Urwald zurück. Während er seine Freiheit genießt, "von niemandem beeinflusst zu sein", leidet seine Familie unter der Einöde der grünen Hölle. Die Regisseure fangen sehr authentisch ein, wie individuell Freiheit ist. Und allein die Szene, in der Solleder zu den verzerrten Radioklängen des Radetzky-Marsches mitten im Urwald seine Tabakblätter zerstampft, ist ein gutes Beispiel dafür, dass das Leben selbst die besten Geschichten schreibt.
Verstörende Momentaufnahme
Mitten aus dem Leben gegriffen ist auch der kurze Dokumentarfilm "Minot, North Dakota". Der Zuschauer findet sich auf einer schnellen Fahrt durch nicht enden wollende öde Landschaften wieder, vorbei an Trailerparks und Schildern mit der Blinkaufschrift „Support our Army“. Die österreichische Regisseurin Angelika Brudniak zeigt eine Momentaufnahme der Kleinstadt Minot, in der seit dem Kalten Krieg 150 Atomraketen unterirdisch auf ihren Einsatz warten – bis heute.
Kameras überwachen die öffentlichen Plätze, kaum ein Schritt entgeht den Ordnungshütern. Die einzigen Protagonisten sind Stimmen, die aus dem Off ans Ohr dringen. „Wer nicht weiß oder katholisch ist, fällt hier sofort auf“, sagen sie, oder „Die Leute hier sind alle für den Krieg“. Der Kurzfilm aus dem Jahr 2008 zeichnet das verstörte Bild eines kleinen Stücks amerikanischer Gesellschaft und zeigt, dass Barack Obama im von ihm propagierten Weltfriedenstaumel vor allem im eigenen Land noch einige Baustellen zu bewältigen hat.
Erbarmungsloses Bildspektakel
Frauenfilmfestival Dortmund/Köln
21. - 26. April 2009 in Dortmund
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Festival-Blog
Kaum genießen die Augen nach dem Film einen kurzen Augenblick der Dunkelheit und Ruhe, beginnt auf der Leinwand ein erbarmungsloses Farb- und Bilderspektakel. In dem Experimental-Film „Faceless“ verwendet Regisseurin Manu Luksch ausschließlich Aufnahmen aus Londoner Überwachungskameras. Keine andere Stadt der Welt verfolgt ihre Bürger so sehr auf Schritt und Tritt wie die britische Metropole.
In der ersten Einstellung tanzen Menschen auf einem öffentlichen Platz, ihre Gesichter sind allesamt durch bunte Farbkleckse ersetzt. Dann erzählt die sanfte Stimme von Tilda Swinton die Geschichte einer Frau, die in der Echtzeit gefangen ist. Weder Vergangenheit noch Zukunft existieren, die „neuen Maschinen“ geben den Takt vor. Um die stark gewöhnungsbedürftigen Überwachungsbilder wird eine Science-Fiction-Geschichte gestrickt.
Für Liebhaber des Experimental-Films ist das 50-minütige kritische Stück ein Meilenstein, schließlich wagen einige sogar den Vergleich zum legendären „La Jetee“ von Chris Marker. Menschen ohne Gesichter, befremdliche Filmmusik, die wohl den Puls der Zeit symbolisieren soll und Sätze wie „Das Versteck wird durch Spektral-Kinder erleuchtet“: Das alles ist etwas viel für das ungeübte Experimental-Auge. Die Botschaft versteht dank des Abspanns aber jeder: Nirgendwo sind so viele Kameras angebracht, alle Videos können von den Behörden eingefordert werden. Böser Überwachungsstaat. Der Kopf schwirrt trotzdem, vielleicht war es Tilda Swintons Säuseln , dass vorm Durchdrehen abhielt.
Friedlicher Dokumentarfilm aus Palästina
Deswegen sind Psyche und Augen dankbar, als mit dem Kurzfilm „In Transit“ und dem darauf folgenden Dokumentarfilm „The Colour of olives“ Ruhe auf der Leinwand einkehrt. Dabei behandeln beide Werke im Vergleich zu ihren Vorgängern das wohl heikelste Thema, den Nahost-Konflikt. Und sie kommen ganz ohne die schrecklichen Bilder aus, die sich aus dem Fernsehen in den Kopf brennen: Keine Bomben, keine Explosionen, keine schreienden Kinder.
„In Transit“ zeigt viel mehr träumende afghanische Kinder, die unter einem alten Kriegsflugzeug liegen. Sie haben Bänder daran befestigt lassen den alten Bomber aus ihrer Perspektive tatsächlich wieder fliegen.
Es ist die perfekte Einstimmung auf „The Colour of Olives“. Darin begleitet Carolina Rivas die achtköpfige palästinensische Familie Amer, die in Masha, 25 Kilometer weit von Tel Aviv, lebt. Ihr Haus ist militärisches Grenzgebiet, direkt zwischen Palästina und Israel, und wird von einer hohen Mauer umschlossen. Die Kinder haben Vögel auf die Mauer gemalt, Symbol für das Wunschdenken.
Patriotismus im Kindergarten
Ein wunderschöner alter Olivenbaum bestimmt die erste Szene, wenig später grollt eine Motorsäge in der Luft. Familie Amer lebt von der Landwirtschaft, um ihren Olivenhain zu erreichen, müssen sie unzählige Grenzposten passieren. Der Bau der Mauer zerstörte ihr Gewächshaus und den Stall, in dem die Hühner untergebracht waren. Rivas nutzt starke und friedliche Bilder, um den Konflikt ins Bewusstsein zu rufen: Die kleine Tochter schält eine Orange, wenig später schwenkt die Linse auf einen Hühner-Kadaver. Auch in ihrem eigenen Haus leben die Amers wie Gefangene. Jeden Morgen das gleiche, deprimierende Spiel: Will der Vater zur Arbeit und die Kinder zur Schule, müssen sie auf die israelischen Grenzposten warten, die ihnen das Tor öffnen.
Die mexikanische Filmemacherin begleitet die Kinder im Alltag, zeigt, dass schon im Kindergarten mit Parolen wie „Befreit Palästina“ und „Wir lieben unser Land“ Patriotismus eingetrichtert wird. Ein Film, der unter die Haut geht. Vielleicht, weil er in Zeiten der medialen Reizüberflutung, in denen grausame Bilder fast zur Tagesordnung gehören, einen ganz neuen Weg findet, persönliches Leid eindrucksvoll auf die Leinwand zu bannen.
Diese Ansicht teilen vielleicht nicht alle Zuschauer. Eine junge Frau in der ersten Reihe hat die Augen fest geschlossen, als der Abspann von „The Colour of Olives“ läuft. Im Kino schlafen. Auch das ist Freiheit.
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