Essen. Der CDU-Kanzlerkandidat hat bewiesen, dass er ein Terrier sein kann. Kommentator Alexander Marinos ist nicht sicher, ob es noch etwas nutzt.

Für Armin Laschet und die Union muss es frustrierend sein. Da hat sich der Kandidat, sonst eher der Typ fröhlicher Rheinländer, endlich überwunden und schaltet in durchaus beachtlicher Weise in den Angriffsmodus – und am Ende sagen die Fernsehzuschauer in einer Forsa-Umfrage, Olaf Scholz habe das erste Triell in der deutschen Fernsehgeschichte gewonnen, mit Abstand sogar. Wahrscheinlich hätte man auch einen Betonklotz mit aufgemalt-eingefrorenem Scholzgesicht ins Studio stellen können, und der SPD-Kandidat hätte trotzdem vorne gelegen.

Denn, seien wir ehrlich, sehr viel lebendiger als ein kühler Betonklotz wirkte Scholz nicht. Insofern war und blieb er ganz bei sich. Und das Irre daran ist: Genau das ist es, was die Menschen offenbar wollen. Sie wollen eine Kopie der unbeirrbaren Angela Merkel, deren maximaler Gefühlsausbruch darin zum Ausdruck kommt, dass sie mit den Händen ihre berühmte Merkel-Raute formt.

Laschet versucht sich in der Rolle des Oppositionellen

Der stellvertretende Chefredakteur der WAZ, Alexander Marinos.
Der stellvertretende Chefredakteur der WAZ, Alexander Marinos. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Die Folge daraus ist, dass die Zuschauer am Sonntagabend ein Stück verkehrte Welt erlebten. Während Scholz immer wieder die gemeinsame Politik mit Merkel hervorhob und sich staatsmännisch als Vertreter der Regierung und der Kanzlerin gab, versuchte sich Laschet in der Rolle des Oppositionellen. Die Art und Weise, wie sich der CDU-Bundesvorsitzende von der Afghanistan-Politik der von seiner Partei geführten Bundesregierung distanzierte, war schon bemerkenswert – und nicht ganz ungefährlich. Da inszeniert sich jemand als Underdog, obwohl es eigentlich zur DNA jedes CDU/CSU-Kanzlerkandidaten gehört, als souveräner Top-Favorit in die Auseinandersetzung zu gehen, an dem alle Angriffe ruhig abprallen. Dass er dabei auch die eigene Kanzlerin beschädigt, nimmt er bewusst in Kauf.

Vor diesem Hintergrund ist dann auch das anschließende Forsa-Ergebnis zu bewerten, obwohl die Menschen sicher nicht nur die Frage beantworteten, wer denn nun tatsächlich das Triell gewonnen hat. Die meisten haben mindestens auch die – nicht gestellte – Frage beantwortet, wem sie die Kanzlerschaft zutrauen. Und da sitzt Laschet nun einmal tief in der Umfrage-Falle fest und muss mit Hilfe ungewohnter Aggressivität versuchen, jene Chance zu nutzen, die er gefühlt gar nicht mehr hat.

Baerbock arbeitet sich an Laschet ab und sorgt für Aha-Momente

Für RTL und die Fernsehzuschauer war das natürlich ein Glücksfall. Sie erlebten ein Stück unterhaltsame Politik und in weiten Teilen eine erwachsene Debatte, die weg führte von den infantilen Kinkerlitzchen rund um geschönte Lebensläufe oder unpassende Grinse-Momente hin zu den wirklich wichtigen Themen, die in diesem Wahlkampf bislang viel zu kurz gekommen sind.

Spannend war vor allem, wie sich die Grünen-Kandidatin Annalena Baerbock dabei immer wieder an Laschet abarbeitete. Dass sie in Sachen Klimaschutz Punktsiegerin sein würde, stand schon vorher fest. Als sie Laschet aber vorrechnete, dass seine Steuerpolitik vor allem die Reichen entlasten würde, während die Grünen den Fokus vor allem auf arme Kinder legen wollten, durften viele Zuschauer ein paar Aha-Momente gehabt haben.

Keinerlei Jamaika-Flair - dafür Terrier-Qualitäten bei Laschet

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Aha-Momente gab es freilich auch in machtpolitischen Fragen. Scholz suchte die Nähe zu Baerbock, und Baerbock ging vor allem zu Laschet auf Distanz. Da kam keinerlei Jamaika-Flair auf – und Jamaika ist nach derzeitigem Stand die wahrscheinlichste Option für Laschet, Kanzler zu werden. Dafür witterte dieser die Chance, Scholz und Baerbock vorzuhalten, dass sie Rot-Rot-Grün partout nicht ausschließen wollen, also eine Koalition mit der in außenpolitischen Fragen außerhalb des deutschen Konsenses stehenden Linkspartei. Laschet entwickelte dabei erstaunliche Terrier-Qualitäten, so sehr verbiss er sich am unbeirrt stoisch dreinblickenden Scholz. Das mag manche irritieren, die an Laschet gerade das ausgleichend Integrative schätzen. Strategisch notwendig war es dennoch.

Denn genau hier liegt die größte Gefahr für Scholz und seine SPD, auf der Zielgeraden doch noch schlapp zu machen. Wenn an sich konservativ-bürgerliche Wähler, von Laschet enttäuscht, überlegen, ausnahmsweise einmal den Sozialdemokraten ihre Stimme zu geben, dabei aber nicht sicher sein können, die Linke mit ins Kabinett zu holen, dann machen diese Wähler ihr Kreuzchen vielleicht doch wieder bei der Union – und alle Umfragen sind, wie zuletzt öfter zu beobachten, nichts als Schall und Rauch. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis die Union wieder Freiheit-statt-Sozialismus-Plakate klebt.

Auf die boulevardeske Runde hätte RTL verzichten können

Ein Wort noch zu RTL und seinen Moderatoren. Mehr Themensicherheit, mehr Gelassenheit und der Verzicht auf kreischend-blöde Eingangsfragen, als die Kandidaten aufgefordert wurden, etwas Schlechtes zu den Konkurrenten zu sagen, hätten der ansonsten gelungenen Fernsehpremiere gutgetan.

Noch besser wäre gewesen, man hätte auf die anschließende boulevardeske Runde mit Günther Jauch und Co. verzichtet. Das war, als würde man versuchen, eine kalt gewordene, schlabberige Frikadelle in der Mikrowelle aufzuwärmen in der Hoffnung, sie würde wieder knusprig. Unter dem Strich aber machte das Triell Appetit auf mehr.