Paris.. Der frühere französische Staatspräsident Valéry Giscard d’Estaing spricht über 50 Jahre deutsch-französische Freundschaft, über Europa und seine Beziehung zu Altkanzler Helmut Schmidt, die bis heute andauert.
Am Dienstag jährt die sich Unterzeichnung des Elysée-Vertrags zum 50. Mal. Er war ein Meilenstein für die Aussöhnung der einstigen Erbfeinde Deutschland und Frankreich. Er verpflichtete die Regierungen zu regelmäßigen Beratungen auf höchster Ebene. Ein Gespräch über Verträge und Freundschaft mit dem ehemaligen französischen Staatspräsidenten Valéry Giscard d’Estaing (86).
Monsieur le Président, der Erfolg des deutsch-französischen Tandems beruht besonders auf dem Erfolg der jeweiligen Kanzler und Präsidenten. Bedauern Sie, dass das aktuelle Paar noch nicht funktioniert?
Giscard d’Estaing: Nun jedes Paar wirkt in einer bestimmten Zeit. Die Epoche von Helmut und mir war wirklich ein Goldenes Zeitalter. Zuvor hatten Adenauer und De Gaulle die Tür zur Versöhnung aufgestoßen. Auf mich folgte Mitterrand. Sein Verhältnis zu Kohl war zunächst getrübt und Mitterrand hatte auch zunächst Schwierigkeiten mit der deutschen Wiedervereinigung. Die Vertrautheit zwischen ihm und Helmut Kohl kam erst später.
Hat die europäische Finanzkrise Deutschland und Frankreich auseinanderdividiert?
Giscard: Ein bisschen, aber nicht sehr. Nun, Deutschland ist durch Angela Merkel gut aus der Krise herausgeführt worden und wirtschaftlich gesund. Unsere Situation hingegen ist eher fragil – wegen der exzessiven Staatsausgaben und der schwächeren Wettbewerbsfähigkeit. Der neue Präsident hat nun die Idee des Wachstums in den Vordergrund gerückt, aber in grundsätzlichen Fragen sehe ich zwischen beiden Ländern keinen Gegensatz.
Bisweilen gewinnt man den Eindruck, als lasse Angela Merkel Frankreich links liegen, während sich Hollande gleichzeitig neuorientiert in Richtung Süden. Fehlt dem deutsch-französischen Motor der nötige Sprit?
Giscard: Im Moment gibt’s leider kein sichtbares Projekt. Heutzutage wird nur noch bis zum nächsten Wahltermin geplant. Und in Frankreich denkt man allenfalls bis zu den nächsten Ferien. Die Kanzlerin und der Präsident sollten sich darüber im Klaren werden, was sie in Zukunft zu erreichen gedenken. Stattdessen beobachte ich seit der Finanzkrise einen nationalistischen Rückwärtstrend. Die Deutschen reden über Deutschland, die Franzosen über Frankreich, aber über Europa wird viel zu wenig gesprochen.
Welche Vision haben Sie von Europa?
Giscard: Die Herausforderung für Europa besteht darin, zu einer machtvollen Wirtschaftsunion zu verschmelzen, zu einer, die sich auf Augenhöhe mit den Großmächten des 21. Jahrhunderts bewegt. Robert Schuman und Jean Monet hatten 1950 die Vision, Ressourcen wie Kohle und Stahl zusammenzutun. Da wir inzwischen bereits die Währungsunion haben, sollte es bis 2030 darum gehen, zusätzlich eine Haushalts- und Steuerunion in Europa zu schaffen.
Braucht das vielstimmig gewordene Europa immer noch deutsch-französische „Leadership“?
Giscard: Man muss unterscheiden. Wir reden vom Europa der 27 und von der Eurozone. Das Europa der 27 muss weiterentwickelt werden, und Großbritannien, ein wichtiger Partner, sollte – auch aus eigenem Interesse - drinbleiben. Aber die EU muss unbedingt modernisiert werden. Die Kommission mit ihren 27 Kommissaren ist einfach viel zu groß. Diejenigen, die die EU vertiefen wollen, können sich der Euro-Zone anschließen. Deutschland und Frankreich, die beiden Gründerstaaten, bilden nach wie vor den Kern.
Wie wichtig sind die persönlichen Beziehungen zwischen französischen Präsidenten und deutschen Kanzlern?
Giscard: Sehr wichtig. Funkt man auf derselben Wellenlänge, kommt man einfach besser voran.
Auf Ihre Freundschaft mit Helmut Schmidt trifft dies zu.
Giscard: Ja, wir kannten uns bereits gut, bevor wir - fast zeitgleich - Kanzler und Staatspräsident wurden: ich durch den plötzlichen Tod meines Vorgängers, er durch den Rücktritt von Willy Brandt. Wir sind uns schon Anfang der siebziger Jahre als Finanzminister begegnet und haben stets alles daran gesetzt, auf internationaler Ebene gemeinsame Positionen zu entwickeln.
Ihre Freundschaft dauert bis auf den heutigen Tag an.
Giscard: Oh ja, und sie ist wirklich sehr persönlich. Allein letztes Jahr habe ich Helmut zweimal in seinem Haus bei Hamburg besucht und ich werde in zwei Monaten wieder hinfahren. Wir unterhalten uns seit jeher auf Englisch, denn Helmuts Französischkenntnisse beschränken sich im Wesentlichen auf Worte wie „Bonjour“ und „Mademoiselle“ (schmunzelt).
Wie steht’s um Ihre Deutschkenntnisse?
Giscard: Nun, ich bin in Deutschland geboren, in der Rheinallee 9 in Koblenz. Ich habe schon als kleines Kind Deutsch gelernt und danach auf dem Gymnasium in Frankreich. Deutsch war in jener Zeit für uns die wichtigste Fremdsprache und wir lasen selbstverständlich die großen Klassiker wie Goethe, Schiller und Heine. Ich habe viel später Weimar besucht, war im Elephant-Hotel, habe die Häuser von Goethe und Schiller gesehen und die wundervolle Bibliothek der Herzogin Anna Amalia. Ich finde, wir brauchen in Europa mehr kulturellen Tourismus und nicht nur den zu den Stränden. Schade, dass so viele Deutsche nur durch Frankreich fahren, um rasch die Küsten in Spanien zu erreichen.
Was können Franzosen von Deutschen lernen?
Giscard: Die Deutschen sind weitaus disziplinierter, sie arbeiten mehr und halten Wort. Die Franzosen könnten durchaus ein paar germanische Elemente übernehmen.
Deutschland hält sich seit dem Zweiten Weltkrieg militärisch sehr zurück. Stört Sie das?
Giscard: Es gibt eine exzessive Tendenz, sich einzumischen. In Irak gab es Krieg, obwohl es nachweislich gar keine Massenvernichtungswaffen besaß. Wer Afghanistan kennt, der weiß, dass man dort nicht gewinnen kann. Auch jetzt in Afrika sollte genau geprüft werden, wie weit man geht. Deutschland ist erfreulicherweise weniger interventionistisch.