Ruhrgebiet..

Manche Supermärkte haben neuerdings bis Mitternacht geöffnet. Späteinkäufer freuen sich, die Gewerkschaft Verdi würde die Uhren am liebsten wieder zurück drehen.

Bei der Wahl zwischen ihren Prinzipien und Schokolade hat sich Claudia B. für die Schokolade entschieden, sie ist ja nicht blöd. Also: Es ist bald 22.30 Uhr, sie steht im Supermarkt vor einem einschlägigen Regal, hat beide Arme voller Süßigkeiten und erklärt, warum sie gegen lange Öffnungszeiten ist, jedenfalls grundsätzlich. „Weil man selbst ja auch nicht so spät arbeiten möchte“, sagt die Angestellte, und „es wird nicht ein Keks mehr verkauft.“ Alles Argumente! Allerdings war ihr kurz zuvor mit Schrecken klar geworden, dass morgen im Büro keine Schokolade mehr sein würde – da stapfte sie lieber noch entschlossen los. Kekse!

22.30 Uhr. Ja, wo kaufen sie denn?

Der Rewe auf Schalke ist einer dieser hochgerüsteten Supermärkte, der auch violette Möhren verkauft, 18 Sorten Christstollen, Kaffee von Ju­lius Meinl und Bärlauch-Gewürzspray. Aber wichtiger ist in unserem Zusammenhang: Das Geschäft ist geöffnet bis Mitternacht und damit einer von „bundesweit rund 60 Märkten, die bis 24 Uhr geöffnet haben, . . . alle in Innenstadtlagen von Mittel- und Großstädten“, so eine Presse-Erklärung der Rewe-Gruppe: Man werde „die Akzeptanz bei den Kunden beobachten“. Bochum, Dortmund, Düsseldorf, Essen, Gelsenkirchen . . .

Die Nachfrage fällt
unterschiedlich aus

Und diese Akzeptanz fällt tatsächlich sehr unterschiedlich aus, schon allein in diesem einen Laden: Unter der Woche ist es recht ruhig so spät, Freitag und Samstag jedoch derart voll, dass man sich fragen muss, warum die Deutschen nicht bis Ende der 80er-Jahre längst verhungert waren, bei landesweiten Ladenschlusszeiten um 18.30 Uhr (und, liebe Kinder, an den Tankstellen gab es nur Benzin). Danach erst setzten die Lockerungen ein, die jetzt zum versuchsweisen Mitternachtseinkauf führen; wobei in Berlin die ersten Läden bereits bis auf sonntags gar nicht mehr zumachen.

Jetzt aber schnell zurück nach Gelsenkirchen. Man trifft beim überaus späten Einkauf den Anwalt Wilfried Jürgens („Wenn man bis in den Abend arbeitet, ist man noch ein bisschen aufgedreht“), oder man trifft Anja Moerders und ihren Sohn Marvin, die bei der Rückkehr aus dem Urlaub einen leer gefegten Kühlschrank vorfanden – geht gar nicht! Längst hat der eingelagerte Bäcker die Sahneschnitten reingeholt, der Blumenstand ist geräumt, die geschlossene Fleischtheke in der Hand der türkischen Putzfrau – doch ansonsten kaufen Leute ein.

„Gemütlich“, sagt eine Frau, und der Berufspendler und Mittagsschichtler Andreas Steuke meint: „Das ist super für mich.“ Die nächsten beiden sind ein Liebespaar ohne Einkaufsabsicht: Sie fuhren spazieren und sahen noch Licht.

Je später der Abend, desto bescheidener

Nach Augenschein muss man sagen: Die Kundschaft wird im Lauf des Abends tendenziell jünger, einzelner und männlicher. Und: Je später der Abend, desto bescheidener die Gäste. Die ältere Frau geht mit Gin und Cola, ein Jugendlicher mit zwölf Litern Apfelschorle; ein junger Mann kauft eine Cola und einen Sack Katzenstreu, ein anderer einen Blumenkohl und Mettwürstchen. Der meist gesagte Satz fällt an der Kasse: „Tschüüüß! Schön’ Abend noch!“ – dabei wäre ,Gute Nacht’ zu sagen inzwischen durchaus angebracht.

Deshalb ist Rewe 24 ja auch umstritten. Von „ausufernden Ladenöffnungszeiten“ spricht Jörg Verstegen von der Gewerkschaft Verdi: „Das geht in die Nachtarbeit, und die ist gesundheitsschädlich.“ Wenn die nordrhein-westfälische Landesregierung 2011 die freigegebenen Öffnungszeiten insgesamt überprüft, wie von Anfang an geplant, will Verdi sich dafür einsetzen, dass generell wieder früher geschlossen wird. Und Waltraud Loose vom „Handelsverband NRW“ bezweifelt, ob Rewe ein Geschäft macht: „Die Zielgruppe ist nicht so groß.“ Aber bei Öffnungszeiten „heißt das Zauberwort: regelmäßig. Nichts ist schlimmer als ein Kunde, der vor verschlossener Tür steht und Hunger hat.“

Die Rewe-Gruppe jedenfalls hat bisher festgestellt, dass die Nachfrage unterschiedlich ausfällt, „abhängig von Wohn- oder Bürogebiet, Altersstruktur, Wetter und Wochentag“. Bis in den Winter wolle man das weiter beobachten, sei aber auch in der Lage, die Öffnung bis Mitternacht „gegebenenfalls jederzeit rückgängig“ zu machen.

Na dann: Gute Nacht.