Christchurch/Essen. Nach dem schweren Erdbeben in der neuseeländischen Stadt Christchurch hat der Oberbürgermeister den Ausnahmezustand verhängt. Die Zahl der Toten ist auf 75 gestiegen. Mehr als 300 Verschüttete werden noch vermisst.
Die neuseeländischen Behörden haben für Teile der vom Erdbeben verwüsteten Stadt Christchurch eine nächtliche Ausgangssperre verhängt. Wer sich nach 18.30 Uhr Ortszeit noch in dem abgesperrten Gebiet in der Innenstadt auf der Straße aufhalte, werde festgenommen, kündigte die Polizei am Mittwoch an. Das Gebiet sei zu gefährlich, da dort noch Gebäude vom Einsturz bedroht seien. Wie lange die Ausgangssperre gelten soll, wurde zunächst nicht mitgeteilt.
Die Straßen von Christchurch sind voll, die Cafés zur Mittagszeit gut besucht. Die Menschen sind im Büro, die Kinder in der Schule, als um 12.51 Uhr Ortszeit das schwerste Erdbeben seit 80 Jahren die zweitgrößte Stadt Neuseelands erschüttert.
Binnen kürzester Zeit verwandelt sich das Zentrum in ein Katastrophengebiet. Häuser stürzen ein, Straßen brechen auf, benommene, blutende Menschen irren umher. Timo Krämer ist gerade in einem Einkaufszentrum zum Mittagessen, als die Erde bebt. „Die Wände des Gebäudes sind einfach weggeklappt“, erzählt der 27-jährige Deutsche am Telefon noch sichtlich aufgewühlt. Der Elektrotechniker, der für den Anlagenbauer Klein aus Rheinland-Pfalz in Christchurch arbeitet, bleibt unverletzt und hilft geistesgegenwärtig, Kinder aus dem Einkaufszentrum zu evakuieren. Später telefoniert Krämer mit seinem Chef. Es hat ein Nachbeben gegeben, dutzende folgen. Während des Gesprächs sind schreiende Menschen im Hintergrund zu hören. Australiens Premierminister John Key spricht vom „schwärzesten Tag Neuseelands“.
Turm der Kathedrale stürzt ein
Schon wieder Christchurch: Erst am 4. September vergangenen Jahres war die bei Touristen als Tor zur neuseeländischen Südinsel beliebte 390 000-Einwohner-Stadt von einem Beben der Stärke 7,1 getroffen worden. Das hatte Timo Krämer noch verschlafen. Hunderte Gebäude wurden beschädigt, Menschen verletzt. Gestern hat das Erdbeben eine Stärke von 6,3 – und richtet verheerende Schäden an. Mindestens 65 Menschen sterben, viele weitere werden zum Teil schwer verletzt.
Tausende rennen in Panik auf die Straßen, andere suchen auf Hausdächern Zuflucht. Mehrstöckige Büroblocks und der Turm der Kathedrale stürzen ein. Vom sechsstöckigen Canterbury-Fernseh-Gebäude bleibt nur noch eine schwelende Ruine übrig. Linienbusse werden von Betonteilen zertrümmert, ein Tourist in seinem Auto erschlagen. Verschüttete schicken verzweifelte SMS an ihre Angehörigen.
„Es ist alles kaputt“
„Der Boden ist nass – ich glaube, es ist Blut“, berichtet eine Frau telefonisch einem TV-Sender. Anne Voss sitzt unter ihrem Schreibtisch im Büro. Über ihr ist die Decke eingestürzt. Sie ist eingequetscht, hört Kollegen um Hilfe rufen. „Ich weiß nicht, in welcher Verfassung sie sind.“
Christchurchs Bürgermeister Bob Parker verhängt den Ausnahmezustand über die Stadt und schätzt die Zahl der von Trümmern Eingeschlossenen auf bis zu 200 – unter ihnen ist auch eine Gruppe Austauschschüler aus Japan. Miranda Newbury kann noch durch ein einstürzendes Treppenhaus aus dem dritten Stock eines Gebäudes fliehen. „Draußen sah es aus wie in einem Kriegsgebiet“, sagt sie.
Epizentrum nur fünf Kilometer entfernt
Das Zentrum des ersten Erdstoßes liegt fünf Kilometer von Christchurch entfernt in vier Kilometern Tiefe. Neuseeland ist ein erdbebengeplagtes Stück Erde, eine Zone reger Vulkantätigkeit. Rund 90 Prozent aller Beben weltweit ereignen sich dort, jährlich rund 14 000, von denen aber nur etwa 150 spürbar sind.
Die Immobilienmaklerin Sabine Cook, früher in Bochum-Wattenscheid zu Hause, lebt seit 23 Jahren in Neuseeland. In einem Interview sagt die 53-Jährige, dass sie jetzt aus der Stadt wegziehen wird. „Es ist alles kaputt, selbst unsere Kathedrale.“ Für die Retter beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit. (mit dapd)