Wenn Politiker auf die Lebenswirklichkeit von Menschen treffen, deren Schicksal sie mit ihren Entscheidungen beeinflussen, kann das unangenehm sein. Das in den sozialen Netzwerken tausendfach geteilte Video der Begegnung der Kanzlerin mit einem Flüchtlingskind spricht Bände. Das Mädchen, von Abschiebung bedroht, schildert Angela Merkel ihre Zukunftsängste, die Kanzlerin erklärt ihr unterkühlt technokratisch, dass Deutschland nicht unbegrenzt Flüchtlinge aufnehmen könne und dass Asylverfahren beschleunigt werden müssten. Das Mädchen bricht in Tränen aus, die Kanzlerin ist überrascht und versucht es hilflos zu trösten.
Dieses Video versinnbildlicht die deutsche Politik in diesen Tagen; gegenüber Flüchtlingen, aber auch gegenüber Griechenland. Es ist eine Politik, die zunehmend den Blick und das Einfühlungsvermögen für die Nöte von Menschen verloren hat und Grausamkeiten mit dem Totschlagargument der Alternativlosigkeit rechtfertigt. Der zivilisatorische Wert eines Landes bemisst sich aber nicht allein an seinem Exportüberschuss, seinen Konjunkturdaten, dem Zustand der Straßen, sondern zuallererst am Umgang mit denjenigen, die Hilfe und Solidarität brauchen; das scheint in Deutschland immer weniger Gradmesser politischen Handelns zu sein.
Natürlich kann Deutschland nicht Millionen von Flüchtlingen aufnehmen. Aber wenn Politiker immer und immer wieder von der angeblichen Überforderung des reichsten Landes in Europa sprechen, dann befördern sie damit eine Wut auf Flüchtlinge, die immer häufiger eskaliert, bis hin zu den zahlreicher werdenden Attacken auf Flüchtlingsheime. Auf die Zunahme der Hilfesuchenden hat Berlin mit einer Verschärfung des Asylrechts reagiert, wie bereits 1993, so ist es ja am einfachsten. In Griechenland geht es Millionen Menschen dreckig, auch eine Folge des so harten wie erfolglosen Sparkurses, der federführend von Deutschland verordnet worden ist. Das hält Finanzminister Schäuble nicht davon ab, mit dem Grexit zu drohen, auch wenn Athen schon auf den Knien rutscht.
Im Berliner Elfenbeinturm hat eine beunruhigende Kälte Einzug gehalten. Schon vor Jahren übrigens, spätestens mit der Verabschiedung der Hartz-Reformen, die so viele Menschen in Deutschland ihrer Würde beraubt haben. Zahlen und Daten sind wichtiger als Menschen, die wirtschaftliche Planerfüllung ist bedeutender als Schicksale. Das ist eine anorganische Politik, eine, die überrascht und unangenehm berührt ist, wenn sie mit dem wahren Leben, mit Emotionen in Kontakt kommt. Umso besser und wichtiger ist es, dass das häufiger geschieht.