Essen. Im Bund und in NRW ist die Politik mit sich selbst beschäftigt - dabei können wir uns Pausen vom Regieren nicht erlauben.
Als ich heute etwas verträumt mit dem Wagen durch die Essener Ruhrallee fuhr, blieben meine Augen unweigerlich an einem überlebensgroßen Armin Laschet hängen, der mit zusammengekniffenen Augen leicht gequält auf mich herab lächelte. „Entschlossen für Deutschland“, stand da als kurze Botschaft. Inzwischen müsste es heißen: Entschlossen gegen Laschet. Das jedenfalls war das Signal des vergangenen Wahlsonntags. Und so wirkt dieses Plakat nicht nur, wie alle anderen Plakate nach der Wahl auch, aus der Zeit gefallen. Es wirkt geradezu aus der Zeit gestürzt, mehrfach die Schallmauer durchbrechend.
Laschet hat Scholz noch nicht zum Wahlsieg gratuliert
Es ist schon tragisch, wie sich Laschet selbst und seine CDU zerlegt hat – und wie er jetzt nicht die Kurve bekommt, eine bittere, eine heftige Niederlage ohne Wenn und Aber einzuräumen, als guter demokratischer Verlierer einem Wahlsieger zu gratulieren (auch wenn der Sieg der SPD auf niedrigem Niveau stattgefunden hat) und den Weg rasch freizumachen für einen echten Neuanfang seiner Partei.
Das ist Klartext
Klare Kante, klare Meinung – das ist Klartext, die kommentierende Kolumne von Alexander Marinos, stellvertretender Chefredakteur der WAZ. Hier werden aktuelle politische Themen aufgegriffen und subjektiv-zugespitzt eingeordnet. Dabei handelt es sich um ein Meinungsangebot zum An- oder Ablehnen, An- oder Aufregen.Alle Folgen der Kolumne finden Sie hier.Klartext als Newsletter? Hier anmelden.
Noch tragischer aber ist, dass jeder, der in Nordrhein-Westfalen lebt, nun mit einem doppelten Machtvakuum konfrontiert ist: in Berlin und Düsseldorf. Denn während wir mutmaßlich noch länger auf eine neue handlungsfähige Bundesregierung warten müssen, ist der NRW-Ministerpräsident nur noch eine „lame duck“, die bestenfalls den Übergang zu ihrem Nachfolger moderiert. Ob bei Laschet das dafür notwendige Mindestmaß an Autorität noch vorhanden ist, werden die nächsten Stunden und Tage zeigen.
Ist das Corona-Virus plötzlich verschwunden?
Und so reibt man sich als Otto Normalbürger die Augen. Wie lange ist die Politik denn jetzt noch mit sich selbst beschäftigt? Hat sich dieses Dings – wie hieß es noch gleich? Ach ja, Coronavirus! – plötzlich verabschiedet? Selbst Karl Lauterbach, der sonst gefühlt gleichzeitig in allen Talkshows saß und verlässlich Corona-Alarm geschlagen hat, twittert nur noch das für ihn triumphale Wahlergebnis in seinem Wahlkreis „Leverkusen/Köln IV“ rauf und runter. Luftfilter in den NRW-Schulen? Die weiterhin fehlende Digitalisierung im Unterricht? Kein Thema mehr. Und wie war das noch gleich mit der Flut? Ist in Erftstadt-Blessem und den anderen Katastrophengebieten schon wieder alles takko?
Im Hinblick auf die international drängenden Themen wird einem derweil angst und bange. Frankreich übernimmt in wenigen Monaten die EU-Ratspräsidentschaft und wartet sehnsüchtig darauf, sich mit dem wichtigsten europäischen Partner in Berlin in zentralen Fragen abstimmen zu können. Je brutaler die Politik Russlands und je rücksichtsloser die Machtansprüche Chinas werden, desto mehr kommt es auf die deutsch-französische Achse in Europa an – zumal das „America first!“ von Ex-US-Präsident Donald Trump von seinem scheinbar freundlicheren Nachfolger im Kern fortgeführt wird.
„Isch over!“
Auf diesem glatten Parkett konnten und können sich vier von fünf Wählerinnen und Wählern den Mann mit den zusammengekniffenen Augen und dem leicht gequälten Lachen nicht vorstellen, weshalb es an der Union ist, für ein Fortleben einer realistischen Jamaika-Option Armin Laschet zu sagen: Pack die Tassen in den Schrank, es ist vorbei! (Wenn Wolfgang Schäuble den Job übernimmt, gerne kurz und schmerzlos: „Isch over!“)
Ansonsten kann man nur den Hut ziehen vor den früheren kleinen Parteien Grüne und FDP, die das Heft in die Hand nehmen, weil sie sich auf die jetzige, schon lange absehbare Situation gut vorbereitet haben. Ob das am Ende eine so genannte Zukunftsregierung ist oder eine Klimaregierung, eine Innovations- oder Bürgerrechtskoalition, ob der Kanzler Söder oder Scholz heißt – das ist alles (fast) wurscht. Hauptsache, es dauert nicht zu lange!
Laschet hat es versäumt, seine Nachfolge zu regeln
Auch in Düsseldorf sollte und kann es schnell gehen. Es ist Laschets Versäumnis, seine Nachfolge nicht schon ordentlich und beizeiten geregelt zu haben, und irgendwie drängt sich der Eindruck auf, dass dies ein für Laschet leider typisches Versäumnis ist. Die besten Aussichten, neuer Ministerpräsident unseres Bundeslandes zu werden, hat Verkehrsminister Hendrik Wüst – und nur der alte Journalisten-Grundsatz, man solle keine Scherze mit Namen treiben (No jokes with names!), hält mich davon ab, jetzt genau dies zu tun.
Der 46-Jährige entspricht so gar nicht der Vorstellung von einem ausgleichenden, moderierenden, versöhnenden Landesvater. Wüsts Körpergröße korrespondiert mit seinem Ehrgeiz, seinem Selbstbewusstsein und seiner, nun ja, großen Klappe. Er hat die aussichtsreichsten Chancen auf den Job, weil Partei-Schwergewichte wie Essens Oberbürgermeister und Ruhr-CDU-Chef Thomas Kufen Wüst unbedingt zügig installieren wollen, aber auch deshalb, weil er als einziger der in Frage kommenden Kandidaten über ein Landtagsmandat verfügt – und das benötigt der NRW-Ministerpräsident nun einmal gemäß unserer Landesverfassung. Jetzt einen Übergangs-Ministerpräsidenten zu ernennen, würde dem bevölkerungsreichsten Bundesland nicht gerecht werden und die Chancen der CDU bei der Landtagswahl im Mai (Stichwort: fehlender Amtsbonus) weiter schmälern.
Wenn Hendrick Wüst von den Plakaten lächelt
Die Wahrscheinlichkeit ist also nicht gering, dass ich bei einer meiner Fahrten durch die Essener Ruhrallee im Frühjahr kommenden Jahres auf ein Plakat blicke, von dem mich ein gereifter ehemaliger Jungunionist anblickt, mit offenerem Blick und einem Lächeln irgendwo zwischen forsch und nassforsch. „Entschlossen für Nordrhein-Westfalen“ könnte drunterstehen, vielleicht aber auch etwas Einfallsreicheres. Und in Berlin regieren dann schon seit Jahresbeginn Grüne, FDP und irgendeine dritte Partei.
Auf bald.