Berlin/ Köln..
Die Zahl der „Autonomen Nationalisten“ ist nach Erkenntnissen des Verfassungschutzes spunghaft gestiegen. Ein Schwerpunkt liegt im Ruhrgebiet. Im WAZ-Interview erläutert Behörden-Chef Heinz Fromm die Hintergründe.
In der gewalttätigen rechtsextremistischen Szene verschieben sich die Gewichte. Wie der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Heinz Fromm, im Interview mit der WAZ-Mediengruppe sagte, ist die Zahl der Skinheads, „die seit Jahren für schwere Gewalttaten verantwortlich sind, zwar spürbar zurückgegangen“. Sorgen bereiten dem Inlands-Geheimdienst dagegen die so genannten „Autonomen Nationalisten“; eine „relativ neue, militante Gruppierung“, die im Auftreten und der Gewaltbereitschaft den „schwarzen Block“ der Linken kopiert - und deren Zahl sprunghaft gestiegen ist. Ein Schwerpunkt ihrer Aktivitäten ist das Ruhrgebiet.
Auf den Fluren der Behörde ist die Unruhe unverkennbar. Thomas de Maizière (Foto oben, rechts), der neue Bundesinnenminister und Dienstvorgesetzte, hat sich in Köln-Chorweiler zum Antrittsbesuch angekündigt. Heinz Fromm (Foto oben, links), seit bald zehn Jahren Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, ist dagegen die Ruhe selbst, als er die WAZ-Mediengruppe zu einem seiner seltenen Interviews empfängt.
Es gibt Kräfte, die die Spirale der Gewalt weiterdrehen
Herr Fromm, alles neu macht der Mai - nur am Monatsersten ist es wie immer: Randale in Berlin-Kreuzberg, Krawall im Hamburger Schanzenviertel. Rechnen Sie diesmal mit einer neuen Qualität der Gewalt zwischen Links- und Rechtsextremisten auf der einen und der Polizei auf der anderen Seite?
Heinz Fromm: Wir haben zum jetzigen Zeitpunkt noch kein klares Bild, aber die Erfahrung der letzten Jahre lehrt, dass auch in diesem Jahr gewaltsame Auseinandersetzungen sehr wahrscheinlich sind. Schon deshalb, weil Rechtsextremisten durch ihre geplanten Aktionen die Konfrontation suchen und damit zur Eskalation beitragen.
Linksextremisten schrecken nicht mehr vor Gewalt gegen Staatsorgane und Polizisten zurück. Was ist da los in der Szene?
Fromm: Angriffe auf Polizeibeamte bei Demonstrationen sind leider kein neues Phänomen. Die aktuelle Entwicklung gibt aber in der Tat Anlass zu besonderer Sorge. Das gilt in erster Linie für Großstädte wie Berlin und Hamburg. In Hamburg gab es im Dezember einen Brandanschlag auf eine Polizeiwache. Zuvor hatten die Täter versucht die Tür zu versperren. Sie waren dabei offenbar ganz gezielt darauf aus, dass Polizeibeamte zu Schaden kommen. Dieses Ereignis hat zu Recht für öffentliche Empörung gesorgt und zu Überlegungen Anlass gegeben, die Entwicklungen im gewaltbereiten Linksextremismus noch genauer als bisher zu beobachten.
Rechnen Sie mit weiteren gravierenden Anschlägen?
Fromm: Das ist nicht auszuschließen, weil es in der Szene Kräfte gibt, die die Spirale der Gewalt weiterdrehen wollen. Und dabei geht es nicht um Vandalismus, wie man das vor allem im vergangenen Jahr beim Anzünden von Autos sehen konnte.
Sondern?
Fromm: Die Frage der Gewalteskalation hängt von der Entscheidung über die weitere Strategie ab. In linksextremistischen Milieus geht es bei der Wahl der Mittel auch immer um die Frage der Legitimität von Gewalt. Eine weitere Eskalationsstufe kann es dann geben, wenn das Umfeld den Gewalteinsatz und die dafür gegebene Begründung akzeptiert und wenn die Urheber der Gewalt mit Mobilisierungseffekten rechnen. Bislang finden gezielte Anschläge auf Repräsentanten des Staates keine eindeutige positive Resonanz. Das kann sich schnell ändern und deshalb müssen wir sehr aufmerksam verfolgen, wie sich dieser Diskussionsprozess weiterentwickelt. Was das Umfeld angeht, gilt: Je näher man den potentiellen Tätern steht, desto größer ist die Mitverantwortung für das, was geschieht.
Die Linke muss weiter beobachtet werden
Muss die Linkspartei weiter vom Verfassungsschutz beobachtet werden?
Fromm: Ja, das ergibt sich aus dem Gesetz, wonach bei Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte für extremistische Bestrebungen die Voraussetzungen für eine Beobachtung gegeben sind. Ausschlaggebend ist, dass offen extremistische Zusammenschlüsse wie die „Kommunistische Plattform“ nach wie vor integrierte Bestandteile der Partei sind, die auch die Zusammenarbeit mit extremistischen Organisationen im In- und Ausland praktiziert.
Ist die Linkspartei wirklich gefährlich für diesen Staat?
Fromm: Die Linkspartei, die wir im Übrigen nicht mit nachrichtendienstlichen Mitteln beobachten, ist keine lupenrein extremistische Organisation. Sie bietet ein eher ambivalentes Bild. Es gibt systemkonforme und extremistische Strömungen und insofern auch unterschiedliche regionale Ausprägungen. Teile der Linken sehen in der Beobachtung durch den Verfassungsschutz offenbar ein Hemmnis für politischen Erfolg. Ich halte das für ein gutes Zeichen.
Wie bewerten Sie die spezifische Situation des als überdurchschnittlich radikal geltenden NRW-Landesverbandes?
Fromm: Ich teile die Bewertung des Landesamtes für Verfassungsschutz in Düsseldorf. Der regionale Befund fügt sich in unser Bild von der Partei ein.
Welche Bedeutung messen Sie dem auf Systemwechsel angelegten Entwurf für das neue Parteiprogramm der Linken bei?
Fromm: Ich wage keine Prognose, ob sich Reformer oder Systemveränderer durchsetzen werden. Es wird abzuwarten sein, ob am Ende der Programmdiskussion tatsächlich die Forderung nach einer grundlegenden Systemveränderung steht.
NPD bleibt trotz Krise der Kristallisationspunkt der rechten Szene
Seitenwechsel auf die Rechtsaußenbahn: Die NPD steckt mitten in einer schweren Finanz- und Führungskrise. Wie bedrohlich ist sie noch für den Rechtsstaat?
Wie schwer wiegen die Finanzprobleme und der Machtkampf um den Vorsitzenden Udo Voigt?
Fromm: Die Partei ist in einer finanziell schwierigen Situation, entstanden unter anderem durch die Straftaten des ehemaligen Schatzmeisters. Auch der Tod des Neonazis und Vorstandsmitglieds Jürgen Rieger, der der Partei verschiedentlich unter die Arme gegriffen hat, hat die Probleme verstärkt. Das heißt aber nicht, dass die NPD nicht mehr handlungsfähig wäre.
Und was ist mit den falschen Rechenschaftsberichten und den staatlichen Rückforderungen in Millionenhöhe?
Fromm: Hier stehen noch gerichtliche Entscheidungen über die Höhe der Forderungen der Bundestagsverwaltung aus.
Wie steht es um die Strategie? Die NPD versucht sich doch gerade ein mehr mittiges, dezenter deutschnationales Gesicht zu geben.
Fromm: Die derzeitige Taktik der Partei, mit dem so genannten „sächsischen Weg“ eine eher bürger- und wählerorientierte Linie mit stärkerer Orientierung an Alltagsthemen zu verfolgen, ist innerparteilich nicht unumstritten. Der radikalere Teil - die für die Wahlkämpfe wichtigen Neonazis - sind mit dieser Ausrichtung unzufrieden. Noch kann der Vorsitzende Voigt die Balance zwischen den Flügeln halten. Wie lange ihm das gelingen wird, ist ungewiss.
Pro NRW bleibt regionales Phänomen
Sehen Sie in Deutschland ein schleichendes Erstarken einer rechtspopulistischen Kraft vom Kaliber Geert Wilders in den Niederlanden?
Fromm: Bislang nicht. „Pro Köln“ und „Pro NRW“ sind regionale Phänomene, das hängt auch mit begrenzten personellen Ressourcen zusammen. Ich sehe derzeit auch keine Führungspersönlichkeit in der so genannten „Pro-Bewegung“, die eine ähnliche Wirkung wie etwa Wilders erzeugen könnte. Dazu kommt ein weiterer Aspekt: Wenn zeitgleich die NPD, wie zuletzt bei der Anti-Islam-Demonstration vor der Duisburger Moschee geschehen, das Thema „Islamisierung“ ihrerseits instrumentalisiert, ist das für „Pro NRW“ nicht nur eine lästige Konkurrenz, sondern macht die rechtsextremistische Tendenz des populistischen Ansatzes der „Pro-Bewegung“ deutlich.
Was beunruhigt den Verfassungsschutz im Bereich Rechtsextremismus am meisten?
Fromm: Die Öffentlichkeit blickt derzeit zu Recht auf den militanten Linksextremismus. Gleichzeitig darf die Aufmerksamkeit für den rechtsextremistischen Teil, vor allem den gewalttätigen, nicht nachlassen.
Bitte, hier bekommen Sie die Aufmerksamkeit.
Fromm: Die Zahl der subkulturell orientierten Rechtsextremisten, der Skinheads, die seit Jahren für schwere Gewalttaten verantwortlich sind, ist zwar auf unter 10 000 gesunken und damit spürbar zurückgegangen. Was uns aber Sorgen macht, sind die „Autonomen Nationalisten“ - eine relativ neue, militante Gruppe.
Sie meinen politisierte Neonazis, die im Auftreten und der Gewaltbereitschaft den linken „schwarzen Block“ kopieren?
Fromm: Ja, die „Autonomen Nationalisten“ bilden nach unseren Schätzungen etwa 15 Prozent des Neonazipotenzials. Seit einigen Jahren erfordern diese jungen Rechtsextremisten zunehmend unsere Aufmerksamkeit. Bei den „Autonomen Nationalisten“, die in Aussehen und Aktionsformen auf den ersten Blick kaum von linken Autonomen zu unterscheiden sind, sind keine festen Organisationsstrukturen erkennbar. Empirisch gesicherte Zahlenangaben sind daher schwierig. Wir gehen derzeit davon aus, dass das Personenpotenzial in den letzten drei Jahren von 400-500 auf etwa 800 Personen gestiegen ist. Schwerpunkte der „Autonomen Nationalisten“ liegen im Ruhrgebiet und im Berliner Raum.
„Autonome Nationalisten“ sind stärker politisiert als Skinheads
Was weiß man über diese Leute, ihre Motive und Ziele?
Fromm: Noch nicht genug. „Autonome Nationalisten“ sind stärker politisiert als Skinheads, für die unreflektierter Nationalismus und rechtsextremistische Musik identitätsstiftend sind und deren Gewalt auf Einzelpersonen - in der Regel Ausländer - zielt. „Autonome Nationalisten“ dagegen haben ein eindeutig neonationalsozialistisches Weltbild und setzen auf Gewalt gegen den politischen Gegner und auch gegen Polizeibeamte. Das zeigte sich unter anderem bei den schweren Auseinandersetzungen zwischen „Autonomen Nationalisten“ und Gegendemonstranten am 1. Mai 2008 in Hamburg oder bei den Angriffen auf Gewerkschaftsmitglieder im Mai 2009 anlässlich einer DGB-Kundgebung in Dortmund. Wir haben die Aufklärungsmaßnahmen in diesem Bereich deutlich verstärkt.
Wie steht es um die Abwehrkräfte der Zivilgesellschaft?
Fromm: Ich persönlich bin froh über das bürgergesellschaftliche Engagement gegen den Rechtsextremismus, das sich zum Beispiel im Februar in Dresden gezeigt hat. Solche zivilgesellschaftlichen Aktivitäten gegen den Extremismus sind von entscheidender Bedeutung und ein gutes Zeichen für unsere Demokratie. Und das Geld, das man hier etwa zu Präventionszwecken investiert, ist gut angelegt. Wenn sich jetzt auch gesellschaftliche Gegenkräfte zum militanten Linksextremismus stärker entwickeln, die sagen, es ist nicht akzeptabel, wenn Menschen angegriffen oder Autos angezündet werden, kann man noch optimistischer sein.
Welche neuen Trends gibt es im islamistischen Terrorismus? Seit der Innenminister nicht mehr Schäuble heißt, gibt es kaum noch öffentliche Terror-Weckrufe. Lässt die Gefahr nach?
Fromm: Nein. Der neue Innenminister hat mehrfach erklärt, dass sich an der Gefährdungslage nichts geändert hat. Wir werden nach meiner Einschätzung noch auf lange Sicht von Anschlägen islamistischer Terroristen bedroht sein. Die Anzahl derjenigen, von denen nach den vorhandenen Erkenntnissen eine Gefahr ausgeht, ist nicht geringer geworden. Weiterhin reisen in Deutschland geborene Muslime oder auch Konvertiten in Ausbildungslager nach Afghanistan und Pakistan. Einige kehren zurück. Die auf sie und auch andere, ähnlich motivierte Personen gerichteten Überwachungsmaßnahmen der Sicherheitsbehörden müssen aufrecht erhalten werden.