Paris. Eine französische Journalistin behauptet, der IWF-Chef habe auch sie versucht, zu vergewaltigen. Der Fall weist gewisse Parallelen zum jetzigen Fall auf. Aber über Bettgeschichten der Politiker schweigt man sich im Nachbarland im Normalfall aus.
Die schweren Anschuldigungen gegen den aussichtsreichen sozialistischen Präsidentschaftskandidaten Dominique Strauss-Kahn (62) wühlen die Franzosen auf. In Paris hat die New Yorker Sex-Affäre ein politisches Erdbeben ausgelöst. Auch wenn noch nicht klar ist, was an den Vorwürfen dran ist: Das Mitleid für den verhafteten Umfrage-König DSK, wie ihn die Franzosen zu nennen pflegen, hält sich spürbar in Grenzen. Während die französischen Nachrichtensender nun pausenlos die dramatischen Bilder des in Handschellen gelegten, zerknirscht und ermüdet wirkenden IWF-Chefs ausstrahlen, werden in Frankreich neue, haarsträubende Vorwürfe gegen den jäh abgestürzten Polit-Star laut: DSK hat danach offenbar bereits 2002 versucht, eine damals 22 Jahre alte Journalistin zu vergewaltigen.
Tristane Banon heißt die Frau, deren schockierendes Erlebnis im Lichte des New Yorker Sex-Skandals nun neu aufgerollt wird. Eine weitere Affäre, der Pariser Zeitungen wie „Le Figaro“, „Le Parisien“ und „France Soir“ am Montag viel Platz widmen. Es ist die Version Tristane Banons, die wir hier wiedergeben: Danach hat die hübsche Blondine den damals 53 Jahre alten Politiker und Ex-Finanzminister um ein Interview für ein Buchprojekt gebeten. Es kommt auch rasch zustande, jedoch nicht in DSKs offizieller Wohnung an der prachtvollen „Place des Vosges“ oder in seinem Parlamentsbüro, sondern in einer merkwürdigen Junggesellenbude nahe der Nationalversammlung.
"Wie ein Schimpanse in der Brunft"
„Die Wohnung war komplett leer“, erinnert sich Tristane Banon, „es gab lediglich ein Bett, einen Fernseher und einen Videorekorder.“ Ferner erinnert sie sich an die markanten Holzbalken, die - typisch für Pariser Altbauwohnungen - freigelegt waren. Die Befragung ist schon nach exakt fünfeinhalb Minuten beendet, da kommt DSK zur Sache. Zuerst auf die charmante Tour. Er bittet sie, seine Hand zu fassen und seinen Arm. Intime Berührungen, gegen die sich die Journalistin ausdrücklich wehrt. „Non, non“, sagt sie. Da DSK jedoch unbeirrt weitermacht, kommt es schon bald zu Handgreiflichkeiten. „Wir lagen auf dem Boden“, berichtet Tristane, und fügt Unglaubliches hinzu: „Ich wehrte mich mit Fußtritten, er öffnete meinen BH und versuchte mir die Jeans auszuziehen.“ Da wirft sie ihm das Wort „Vergewaltigung“ an den Kopf, damit er es mit der Angst zu tun bekommt und von ihr ablässt. „Doch es machte ihm keine Angst“, erzählt Tristane Banon weiter. „Er war wie ein Schimpanse zur Zeit der Brunft.“ Schließlich gelingt ihr die Flucht. Kurze Zeit später gibt der Peiniger das Unschuldslamm und schickt ihr eine SMS: „Oh, habe ich Ihnen Angst gemacht?“
Paris 2002, New York 2011: wie auffällig die Parallelen. Auch der Pariser Vorfall erfüllt den Tatbestand der sexuellen Nötigung und der versuchten Vergewaltigung. Doch anstatt DSK auf dem nächsten Polizeirevier anzuzeigen, schweigt Tristane Banon. Zum einen weil ihr der Mut fehlt. „Ich wollte nicht bis zum Ende meiner Tage das Mädchen sein, das ein Problem mit einem bekannten Politiker hat“, sagt sie. Aber auch familiäre Gründe spielen eine gewichtige Rolle. Denn die Strauss-Kahn-Tochter Camille ist eine von Tristanes besten Freundinnen. Und: DSKs zweite Frau hat sie außerdem zur Patentante. Es ist Anne Mansouret, Tristanes Mutter, die auf die weinende Tochter einredet und sie dazu bringt, die schlimmen Anschuldigungen für sich zu behalten. Sie ist eine Parteifreundin des bekannten Sozialisten und Generalrätin im normannischen Département Eure.
Bettgeschichten sind absolut tabu
Doch so ganz wird sich Tristane Banon nicht an das Schweigegelübde halten. Im Februar 2007, DSK bewirbt sich damals parteiintern um die Präsidentschaftskandidatur, schildert Tristane Banon ihr Horror-Erlebnis in einer Talkrunde des Senders „Paris Première“. Nur: Der Name des Beschuldigten wird durch einen Piep-Ton unkenntlich gemacht.
Der Skandal DSK-Banon ist bezeichnend für den schonenden Umgang, den viele französische Journalisten mit ihren Spitzenpolitikern pflegen. Man weiß viel, aber schreibt nicht darüber. So kommt es regelmäßig vor, dass Journalisten bei Interviews mit dem Staatschef in einer großen Demutsgeste vorab artig anfragen, welche Fragen „Monsieur Le Président“ denn genehm seien. Das Privatleben der Herrschenden, vornehmlich ihre Bettgeschichten, zählt nach wie vor zu den absoluten Tabus. Prominente Beispiele gibt es zuhauf: Valérie Giscard D’Estaing war als Staatspräsident ebenso ein bekannter Schürzenjäger wie Jacques Chirac. Über ihre Mätressen und Affären war die Hauptstadtpresse bestens informiert, doch stets wurde darüber das Mäntelchen des Schweigens ausgebreitet. Ein regelrechtes Doppelleben führte François Mitterrand. Neben seiner offiziellen Frau Danielle hatte er eine lange außereheliche Beziehung mit Anne Pingeot, aus der die gemeinsame Tochter Mazarine hervorging. Eine Bindung, die erst kurz vor seinem Tod publik wurde.
Auch von Dominique Strauss-Kahn weiß „Tout-Paris“, dass er einen unersättlichen Drang zum weiblichen Geschlecht verspürt. Seit jeher genießt der gut aussehende und charmante Politiker das Image eines Schürzenjägers. Dass er es mit der ehelichen Treue nicht so genau nimmt? Nun, wo ist das Problem?, sagen viele Franzosen und Französinnen, die nach denselben lockeren Moralvorstellungen leben.
Doch spätestens seit dem New Yorker Sex-Skandal legt sich ein langer Schatten auf das bis dahin so positive Image des prominenten Sozialisten und Hoffnungsträgers seiner Partei. Nun zeichnen sie plötzlich ein ganz anderes Bild von Dominique Strauss-Kahn: nicht mehr das des Charmeurs und Bonvivants, sondern das eines Schwerenöters und Busengrapschers. Mehr noch: das Bild eines skrupellosen Kriminellen, der Frauen erniedrigt und dabei offenbar vor Gewalt und Vergewaltigung nicht zurückschreckt.
"DSK out"
Auch Aurélie Filippetti, einst Pressesprecherin der Sozialistischen Fraktion in der Nationalversammlung, erinnert sich an eine hässliche Anmache à la Strauss-Kahn. Eine Begegnung, die offenbar so traumatisierend war, dass sie dem Magazin „Courrier International“ gestand: „Von da an habe ich stets vermieden, mit ihm alleine in einem Raum zu sein.“
„Meiner Meinung nach ist Dominique Strauss-Kahn krank“, mutmaßt Anne Mansouret heute gegenüber dem „Figaro“. Und fügt hinzu: „Es ist keine Beleidigung zu sagen, dass er ein echtes Problem hat: er ist sex-süchtig.“ Dass sie ihre Tochter damals davon abhielt, DSK anzuzeigen, bedauert sie inzwischen sehr. „Ich trage eine große Verantwortung, meine Tochter ist immer noch zutiefst betroffen“, bekennt sie in aktuellen Fernsehinterviews.
Tristane Banon hat sich inzwischen einen Anwalt genommen. Da eine versuchte Vergewaltigung nach französischem Recht ein Delikt ist, das nicht verjährt, erwägt die Publizistin mit neunjähriger Verspätung, doch noch eine Strafanzeige gegen Dominique Strauss-Kahn zu erstatten.
Die linksliberale Zeitung „Libération“ titelt heute sehr treffend: „DSK out“ - Strauss-Kahn bleibt vorerst in Untersuchungshaft, entschied gestern ein New Yorker Richter.