Gelsenkirchen. Candide glaubt an das Gute im Menschen – und scheitert. Leonard Bernsteins Operette nach Voltaires philosophischem Text bildete den Auftakt der neuen Intendanz des Musiktheaters im Revier.

Man nehme: Einen komplexen, philosophischen Text Voltaires, wild gemischte musikalische Versatzstücke aus mehreren Jahrhunderten, Figuren, die im Minutentakt abgemurkst werden und doch immer wieder auferstehen und ein Liebesdrama ohne Happy End. Das ist Leonard Bernsteins „Candide”.

Das junge Ensemble des Musiktheaters im Revier wählte die Operetta als opulenten Auftakt für die Intendanz von Michael Schulz. Und bewies damit, sagen wir mal: Mut. Das Stück ist rasant und oberflächlich, weil es versucht, in knapp drei Stunden die Welt zu erklären. Voltaire schuf für den Roman „Candide” einen jungen Helden, der immerzu an das Gute im Menschen glaubt und gerade dadurch scheitert.





Leonard Bernstein stellte dem tragischen Helden in den 50er-Jahren einen pompösen Klangkosmos an die Seite. Sein „Candide” ist eine Reise durch diverse Musikstile und zugleich eine Liebeserklärung an die europäische Musik: Barocke Tänze treffen auf Walzer und Jazz-Elemente.

Dass Bernstein selbst fast 30 Jahre brauchte, um mit seiner Operetta warm zu werden, dass er sie immer wieder umschrieb, lässt die Schwierigkeiten erahnen, die dieses Stück mit sich bringt. In Gelsenkirchen holte sich Chefdirigent Rasmus Baumann den Regisseur Gil Mehmert („Aus der Tiefe des Raumes”) an die Seite. Gemeinsam mit Dramaturgin Juliane Schunke erschuf man ein deutlich gestrafftes „Candide”. Das Stück lebt am MiR von der herausragenden Leistung des Orchesters und der Sänger, der fantastischen Übersetzung ins Deutsche (der Rasmus Baumann das musikalische Tempo angeglichen hat), von den witzigen Comiczeichnungen Fufu Frauenwahls und von den bombastischen Kostümen, die in sich schon Geschichten erzählen.

Joachim G. Maass hat als Voltaire und Candides Lehrer Pangloss mit seiner Erzählkunst durchaus das Publikum auf seiner Seite, Diana Petrova lässt Candides Geliebte Cunigunde erstrahlen und sorgt an der Seite von Candide (Lars Rühl) für die wenigen gefühlvollen Momente des Abends.

Und doch kann die Inszenierung nicht darüber hinwegtäuschen, dass „Candide” ein blasses Stück ist. Warum hat man in Gelsenkirchen ausgerechnet dieses Werk ausgesucht, um dem neuen MiR-Ensemble eine eigene Handschrift zu geben? Vielleicht, weil man auch hier auf der Suche nach der besten aller möglichen Welten ist. Mit „Candide” hat man die noch nicht gefunden, aber die Saison hat ja auch gerade erst begonnen.

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