Essen. Silvana Koch-Mehrin ist Spitzenkandidatin der FDP für die Europawahl. Im WAZ-Gespräch verteidigt sie die Demokratie, den Markt und - weil sie es immer noch muss - ihr Leben als berufstätige Mutter.
Frau Koch-Mehrin, wann ist eigentlich Europawahl?
Silvana Koch-Mehrin: In Deutschland am 7. Juni, in anderen Ländern schon am 4. Aber ich verstehe Ihre Frage: Vor zwei Monaten wussten zwei Drittel der Deutschen nicht, dass dieses Jahr eine Europawahl ist. Es gibt also noch eine Menge zu tun.
In NRW lag die Europawahl einmal mit der Kommunalwahl zusammen. Das hat man geändert, unter Mitwirkung Ihres Parteifreundes Ingo Wolf. Eine gute Entscheidung?
Koch-Mehrin: Aus meiner Sicht wäre es besser, wenn die Europawahl zusammen mit anderen Wahlen stattfinden würde, so wie es zum Beispiel in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz geschieht. Aber leider wurde gerichtlich anders entschieden.
Mit welcher Botschaft ziehen Sie denn in den Wahlkampf?
Koch-Mehrin: Unsere Grundaussage ist: Für Deutschland in Europa. Wir haben immer wieder gesehen, dass Deutschland in Europa eine besondere Verantwortung hat. Man merkt das ja jetzt in der Wirtschaftskrise. Daher: EU-Politik ist immer dann sinnvoll, wenn sie dem Standort Deutschland nützt.
Ist es für Sie nicht viel wichtiger, gegen die allgemeine Europa-Unwissenheit anzukämpfen, als ihr Programm darzulegen?
Koch-Mehrin: Wir wollen darstellen, dass man EU-Politik und deutsche Innenpolitik gar nicht trennen kann. Arbeitszeiten, Feinstaub, Verpackungsverordnung – all das sind EU-Beschlüsse, aber das wird oft verkannt.
Viele Wähler halten die EU schlicht für undemokratisch.
Koch-Mehrin: Wir wollen die EU als Demokratie. Wir fordern Gewaltenteilung. Klare Verantwortlichkeit der Exekutive gegenüber dem Parlament. Das wird der Lissabon-Vertrag ein Stück weit verbessern, aber er ist halt noch nicht da, und wir werden ihn in den nächsten sechs Wochen auch nicht bekommen.
Wir hätten ihn schon, wenn man in Irland das Volk nicht gefragt hätte.
Koch-Mehrin: Auch die FDP hat ein Referendum gefordert. Wir fordern überhaupt EU-weite Referenden über Fragen, die die Grundlagen der EU betreffen. Es ist doch so: Es wird ein Großprojekt nach dem anderen beschlossen, ohne dass die Bevölkerung gefragt wird, und dann wundert man sich über EU-Verdrossenheit.
Glauben Sie denn, die Deutschen hätten für den Vertrag gestimmt?
Koch-Mehrin: Wenn man weiß, dass man vor den Bürgern bestehen muss, dann kommt auch etwas anderes dabei heraus als der Lissabon-Vertrag in seiner jetzigen, schwer lesbaren Form.
Reden wir einmal über Ihre Partei, die FDP. Sie steht in allen Umfragen glänzend da. Obwohl sie jahrelang Positionen vertreten hat, die uns jetzt in die Wirtschaftskrise geführt haben.
Koch-Mehrin: Die Umfragewerte sind in der Tat motivierend, was zählt sind aber die Wahlergebnisse. Wir erleben ja nicht den Zusammenbruch der sozialen Marktwirtschaft, für die die FDP immer gestanden hat. Was wir hier erleben, ist vor allem das Ergebnis falscher staatlicher Regeln.
Also der Staat hat versagt, nicht der Markt?
Koch-Mehrin: Falsche Regeln haben Anreize gegeben für falsches Verhalten. Ein Bekannter von mir hat bei Lehman Brothers gearbeitet, er hat zig Millionen Euro im Jahr verdient. Dass da was nicht im Lot war, war auch ihm selbst klar. Aber ist das eine Frage des Marktes – oder mangelhafter Regeln?
Sie als Person sind bekannt geworden durch Auftritte im Fernsehen und durch ein Foto im „Stern”, das Ihren nackten Schwangerschaftsbauch zeigte. Wie gezielt setzen Sie so etwas ein?
Koch-Mehrin: Es ist in Deutschland leider nach wie vor ein Politikum, wenn eine Frau Karriere machen und Kinder haben will. Im Stern habe ich das auf den Punkt gebracht. Ich würde mich ausgesprochen freuen, wenn Sie sich genauso stark für meine Vorschläge zur Reform der EU-Finanzen interessieren würden.
Hmmm... Wie war das Echo auf Ihre Bauch-Aktion?
Koch-Mehrin: Neben sehr vielen positiven Zuschriften gab es die einen, die sagten, ich sei eine verantwortungslose Mutter, weil ich trotz Kind im Beruf bleiben wollte. Die anderen sagten, ich wäre eine verantwortungslose Politikerin, weil ich mit Kind meine Aufgaben als Abgeordnete nicht mehr wahrnehmen könnte. Man sieht daran: Zu dem logistischen Aufwand kommt, dass Frauen sich andauernd moralisch rechtfertigen müssen.
Mit Angela Merkel ist erstmals eine Frau Kanzlerin. Wie groß ist die Bresche, die sie damit Politikerinnen wie Ihnen geschlagen hat?
Koch-Mehrin: Die Bresche ist sehr groß. Heute ist für Mädchen klar, dass sie alles werden können. Neulich wurde ich sogar von einer Achtjährigen gefragt: „Du, können Männer auch Kanzler werden?”
Das Gespräch fasste Achim Beer zusammen
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