Rio de Janeiro.
Am heutigen Sonntag ist es vorbei. Die Olympischen Spiele in Rio sind Geschichte und die gute Nachricht ist: Das Spektakel ist bislang gut über die Bühne gegangen. Das Horrorszenario eines Terroranschlags hat sich nicht erfüllt. Alle Wettkämpfe fanden tatsächlich statt. Und die Zika-Mücken haben die Olympiatouristen nicht in Scharen vertrieben.
Es waren die ersten Spiele überhaupt in Südamerika. Dass sie nicht optimal waren, bestreitet niemand. Aber Lateinamerika ist nicht Europa oder Asien. Die dort herrschende Perfektion gibt es nicht in einer Region, in der Armut, Korruption und soziale Ungleichheit fast so groß sind wie nirgends sonst auf der Welt. Gemessen an diesen Maßstäben lief Olympia sehr gut: Parabéns Rio, Glückwunsch Rio!
Dass die Brasilianer die Spiele im Großen und Ganzen hinbekommen haben, ist dem „Jeitinho“ zu verdanken, dem Talent, Herausforderungen doch irgendwie zu meistern. Oft gelingt das auf den letzten Drücker und das auch nur wegen der brasilianischen Gelassenheit, genau darauf zu vertrauen.
Und doch werden die Brasilianer mit einem Kater aus dem olympischen Rausch erwachen. Das größte Land Lateinamerikas hatte gehofft, dass ihm das Sportfest endgültig den Weg in den Kreis der ganz großen Nationen ebnen würde. Olympia sollte Balsam auf die brasilianische Seele sein, ein Schaufenster, um das Land als modern und aufstrebend zu präsentieren. Aber die Spiele und ihre Wahrnehmung in der Welt, die den Brasilianern so wichtig ist, haben das Gegenteil bewirkt und das Selbstbewusstsein der Nation eher gemindert als gesteigert.
Als das Land 2009 den Zuschlag bekam, schien der südamerikanische Gigant gerade auf dem Weg, zu den Industrienationen aufzuschließen. Der damalige Präsident Lula da Silva jubelte: „Endlich sind wir nicht mehr zweitklassig, sondern erstklassig“. Sieben Jahre später versinkt das Land im politischen Chaos und steckt in einer tiefen wirtschaftlichen Krise. Der Bundesstaat Rio de Janeiro ist nahezu zahlungsunfähig. Hinzu kommt die wieder aufflammende Gewalt in den Metropolen.
Nach Olympia entscheidet sich das Schicksal der Präsidentin
Den Menschen in den Randbezirken wird von den Spielen kaum etwas bleiben – einmal abgesehen von einer neuen U-Bahn-Linie und einem Schnellbussystem.
Das alles hinterlässt einen bitteren Nachgeschmack. Vor allem aber wird das Parlament in diesen Tagen über das absurd anmutende Verfahren abstimmen, in dem Präsidentin Dilma Rousseff gerade ihres Amtes enthoben wird. Offenbar hat Interimspräsident Michel Temer Druck auf das Oberhaus des Parlaments ausgeübt. Er möchte am 4. und 5. September am G-20-Gipfel im chinesischen Hangzhou nicht als Übergangspräsident, sondern als fest installierter Staatschef für die kommenden zwei Jahre teilnehmen.
Der 75-Jährige war Anfang Mai nach Rousseffs Suspendierung in der Abgeordnetenkammer zunächst für 180 Tage an die Spitze des Staates aufgestiegen. Nun wird er das Krisenland wohl bis 2018 regieren müssen. Eine der größten Herausforderungen für die Übergangsregierung ist das Haushaltsdefizit, das auf rund zehn Prozent gestiegen ist.
Immerhin: Bevor die Spiele begannen, gab es zahlreiche Berichte darüber, dass die Brasilianer im Allgemeinen und die „Cariocas“, die Einwohner Rios, im Besonderen auf das sportliche Spektakel keine Lust hätten. Aber als Olympia erst einmal eröffnet war, strömten die Menschen doch in die Stadien und zu den Veranstaltungen.
Der Chauvinismus allerdings, den die Brasilianer eben auch pflegen, Buhrufe und Pfiffe gegen ausländische Sportler – er war die hässliche Seite der Spiele, hinzu kam die Kriminalität, von der mindestens ein halbes Dutzend Athleten und Funktionäre betroffen waren. Es gab Querschläger oder Schüsse auf Journalistenbusse und den tragischen Tod des in einen Autounfall verwickelten deutschen Kanu-Trainers Stefan Henze. All das war, man muss es so sagen, einer Olympiastadt und einem Gastgeberland nicht würdig.