Haltern am See.. Am 15. September startet der Altweibersommer. Der Name leitet sich von Spinnfäden her, mit denen junge Baldachinspinnen im Herbst durch die Luft segeln. Das und noch viel mehr kann man bei einer „Spinnen-Wanderung“ lernen.
Die kleine Exkursions-Gruppe ist nur wenige Schritte gegangen, gerade mal bis zum Waldrand, da hält Harald Klingebiel vom Regionalverband Ruhr (RVR) bereits an, hockt sich vor einen Busch mit Brennnesseln und lächelt triumphierend. „Wie? Hier schon?“ fragen sich so manche Teilnehmer insgeheim. Ganz nah müssen sie kommen und ganz genau hinschauen, um tatsächlich die erste Jägerin zu entdecken. Mit dem Bauch nach oben hängt sie da, wartet gelassen, dass irgendwann jemand Kleines vom Boden nach oben will oder aus der Luft nach unten möchte. Und dann von ihr in ihrem Baldachinnetz gefangen genommen wird. Wie lange sie da wohl ausharren kann? „Bis zu drei Wochen bestimmt“, erklärt Klingebiel den staunenden Gästen.
Nichts für Leute diese Tour, die eine Spinnenphobie haben – aber viel für solche, die gerne in der Natur sind und mehr darüber erfahren wollen, wo hier was krabbelt. Denn an vielen lebenden Beispielen zeigt der Förster der RVR-Abteilung Ruhr Grün bei dieser „Spinnenwanderung“ in Haltern (Kreis Recklinghausen), wie Insekten in der Haard so leben. Die Baldachinspinne ist an diesem Abend jedenfalls nur der Auftakt in die Welt der Krabbeltiere. Warum es ausgerechnet Spinnen sein müssen, denen er sich bei dieser Wanderung widmet? „Weil es spannend ist“, sagt der 48-Jährige. „Weil sie bei jedem in Garten zu finden sind, weil es eine gute Show ist - und weil es einfach tolle Tiere sind.“
Tolle Tiere? Elke Richters aus Marl blickt skeptisch. Welches Verhältnis sie denn zu ihnen hat? „Ich möchte sie nicht anfassen“, gibt sie spontan zu. „Aber vielleicht ändert sich das ja nach dieser Tour.“ Die Antwort, was sie mit ihnen macht, wenn sie eine dieser Achtbeiner im Haus findet, verschweigt die 52-jährige Einkaufsleiterin allerdings lieber. „Draußen können sie ruhig sein, da lasse ich sie leben“, sagt sie, „aber in der Wohnung finde ich, haben sie nichts zu suchen...“
Harald Klingebiel zeigt den Teilnehmern den nächsten zwei Stunden noch mehr jener Tierchen, die in menschlichen Behausungen nicht gern gesehen sind - und die doch so wichtig sind für Natur und Umwelt, für Nahrungsketten und Lebensräume.
Brennnessel bietet vielfältigen Lebensraum
Beispiel Brennnessel: „60 verschiedene Tiere leben hier!“ sagt der Förster. Und während er noch die unterschiedlichen Arten - vom Nesselblattkäfer über Läuse bis Schnecken und eben Spinnen - auflistet, reißt er ein Blatt ab, das auf den ersten Blick etwas welk wirkt. Tatsächlich jedoch hat hier ein Schmetterling trickreich seine Eier hineingelegt und anschließend zugeklebt, um sie vor Fressfeinden zu schützen. Im Winter dann wird diese Blätter-Behausung mit der Pflanze zu Boden sinken - bevor im Frühjahr die Larven schlüpfen.
„Wer in seinem Garten Brennnesseln vernichtet, schadet der gesamten Nahrungskette“, gibt der Förster zu bedenken. „Kohlmeisen brauchen dieses tierische Eiweiß!“ Doch viele Gartenbesitzer pflanzten lieber Rhododendron an - und wunderten sich anschließend, warum keine Singvögel da seien.
Auf einen Kletterausflug in die hohen Buchenkronen, wo sich vermutlich der Buchenspanner aufhält, müssen die Naturfreunde an diesem Abend zwar verzichten - dafür bietet ein Stapel mit Altholz ungewohnte Einblicke. Denn kaum hat Klingebiel fachkundig die erste Schicht Rinde entfernt, krabbelt es an allen Ecken und Enden: zig Asseln - eine Form von Landkrebsen - stieben auseinander, ein Laufkäfer mit kräftigen Mundwerkzeugen bahnt sich den Weg, Saftkugler igeln sich ein und stellen sich tot, Erdläufer streben zurück in die Dunkelheit.
Lauf- und Juchtenkäfer lassen sich heute nicht blicken
Klingebiel weist die Gäste auf die winzigen Springschwänze hin, auf ein glänzendes Eier-Gelege einer Schnecke und die Ausbohrlöcher der Holzwespe, bis er ihnen schließlich auch noch einen „meiner wichtigsten Mitarbeiter“ präsentieren kann: einen Regenwurm. Und doch ist er etwas enttäuscht: „Ein doller Jagderfolg ist mir im Moment nicht vergönnt“, bedauert er. Gerne hätte er den Gästen noch den imposanten Laufkäfer gezeigt oder auch den Juchtenkäfer („Sie wissen schon, den vom Gelände von Stuttgart 21“). Doch auch die wechselwarmen Krabbler machen es sich bei 14 Grad lieber in ihrer Behausung gemütlich, als sich den Naturfreunden vorzustellen.
Kurz vor Ende der Tour, irgendwo in Sträuchern am Wiesenrand, gibt es dann aber doch noch eine kleine Attraktion: Gleich neben einem gewölbten Baldachinnetz hat eine Gartenkreuzspinne ihr Radnetz gespannt und wartet geduldig auf ihre Opfer. Kunstvoll ist jedoch nicht nur ihre Spinn-Fertigkeit, sondern auch, wie es Klingebiel gelingt, sie in die Hand zu nehmen und zwischen seinen Fingern an den Beinen festzuhalten, ohne sie zu verletzen. Ganz so nah möchte Elke Richters ihr dann bei allem Interesse zwar doch nicht kommen, doch ihre Bilanz nach zwei Stunden ist eindeutig: „Total interessant“, sagt sie. „Ich werde künftig nicht mehr so achtlos vorbeigehen.“ Die nächste Spinne im Haus wird es ihr danken.