Drastische Maßnahmen könnten die Corona-Ausbreitung bremsen. Doch damit tun sich Politiker schwer, sie schieben Verantwortung auf die Städte ab.
Keine zwei Wochen ist es her, dass der erste Corona-Fall in NRW bekannt wurde. Und schon weichen die obligatorischen Warnungen vor Panikmache der Sorge, schon bald überfordert zu sein. Das Virus hat das Land fest im Griff – und zeigt ihm gnadenlos eine seiner größten Schwächen auf: Der deutsche Föderalismus, seine bis in die Kreisämter zerfaserten Zuständigkeiten und das diesem System immanente Schwarze-Peter-Spiel haben ein schnelles und entschiedenes Handeln bisher verhindert. Und damit die Ausbreitung der Epidemie wahrscheinlich befördert.
Was unser Land jetzt braucht, ist politische Führung, Mut zu unpopulären Entscheidungen und ein Verantwortungsbewusstsein jedes Einzelnen. Also alles, woran es bisher mangelt. Dass viele Bürger nichts mehr von Corona hören mögen, sich über die unsinnigen Hamsterkäufe aufregen und der vermeintlichen Hysterie überdrüssig sind, ist nur zu menschlich. Genau das macht es der Politik ja so schwer, die nächsten Schritte einzuleiten. Niemand will derjenige sein, der Fußballfans den Spaß verdirbt oder gar das öffentliche Leben lahmlegt. Jedenfalls nicht, bevor die Mehrheit das akzeptiert.
In Italien spricht niemand mehr von Panikmache
Doch die Corona-Verbreitung, das zeigt der Rückgang der Neuerkrankungen in China, lässt sich nur mit drastischen Maßnahmen eindämmen. Und dass keineswegs nur autoritäre Systeme in der Lage sind, ganze Städte abzuriegeln, beweist Italien. Mehr als 100 Todesfälle an einem Tag haben dort die letzten Kritiker verstummen lassen. Derlei Schreckensszenarien sollten nicht erst eintreten müssen, damit Politiker sich legitimiert fühlen, mit aller Entschiedenheit zu handeln.
Unternehmen sind längst weiter, sagen aus gesundem Menschenverstand bereits kleinere Treffen von ganz allein ab. Der Staat sollte in Risikoregionen zumindest größere Freizeitveranstaltungen unterbinden. Nur solche ab 1000 Teilnehmern abzusagen, ist ein erster Schritt, aber natürlich willkürlich. Wichtig ist nicht, wie viele Menschen zusammen kommen, sondern wie eng sie beieinander sind. Der Diskretionsabstand ist nicht mehr nur in Banken und Apotheken geboten.
Es gilt, wertvolle Zeit zu gewinnen
Virologen halten eine flächendeckende Ausbreitung für unvermeidbar. Es geht nur noch darum, dies so lange es geht zu verzögern. Das aber ist wichtig, um unser Gesundheitssystem nicht zu überlasten und Zeit zu gewinnen für die Entwicklung von Impfstoffen und Medikamenten. Der Staat kann daher gar nicht zu früh und zu hart reagieren, nur zu spät und zu lax. Ärzte und Kliniken fühlen sich im Stich gelassen, die ersten Praxen mussten schon schließen, nach dieser kurzen Zeit fehlt es ihnen bereits am Nötigsten: Schutzkleidung und Masken. Dabei würde jeder infizierte Mediziner fehlen. Unser Gesundheitssystem ist ganz offensichtlich nicht gerüstet für diese Epidemie, auch wenn die Politik das noch immer behauptet.
Keine Frage, die Entscheidungsträger haben es nicht leicht, auch weil weder Bund noch Land, sondern die Kommunen entscheiden müssen. Als Bundesgesundheitsminister Spahn vor zwei Wochen von einer neuen, sehr ernsten Lage sprach, wurde ihm reflexhaft Panikmache vorgeworfen. Dabei sagte er nur, was die Virologen wussten: dass die Fallzahlen schnell steigen würden. NRW-Gesundheitsminister Laumann betonte dagegen, die Gesundheitsämter der Städte und Kreise hätten alles im Griff. Sie könnten vor Ort am besten entscheiden, was zu tun sei. Laumann wollte damit beruhigen, tatsächlich aber sind die Amtsärzte es gar nicht gewohnt, täglich Entscheidungen dieser Tragweite zu treffen, hofften bisher vergeblich auf klare Vorgaben von oben.
Zu viel liegt im Ermessen der Kommunen
Wer soll getestet werden, nur Erkrankte nach Robert-Koch-Lehrbuch oder auch Kontaktpersonen? Wann Quarantäne und für welchen Personenkreis? Wann wird Quarantäne angeordnet (und damit der Verdienstausfall von der Kommune bezahlt), wann freiwillig gestellt? Ab wann sollen Veranstaltungen abgesagt werden? Alles im Ermessen des zuständigen Gesundheitsamtes, hieß es aus Düsseldorf. Entsprechend durcheinander ging es in den Städten, wo einheitliches Vorgehen angesagt gewesen wäre.
Nur bei der bereits vor einer Woche diskutierten Absage von Fußball-Bundesligaspielen erklärte Laumann noch vergangene Woche, das müsse bundesweit geregelt werden – und verteidigte die Austragung des Samstagsspiels in Gladbach. Konsequent war das nicht. Faktisch bleibt es nun doch dem Amtsarzt überlassen, 50.000 Fans auszusperren. Damit er sich das auch traut, brauchte es freilich erst eine Ansage von Spahn aus Berlin. NRW übernimmt sie nun dankbar, hätte als Corona-Zentrum Deutschlands aber nicht darauf warten sollen.