Freiburg..

Claudia Roth und Cem Özdemir wurden am Samstag beim Bundesparteitag der Grünen in Freiburg als Vorsitzende wiedergewählt. Während Özdemir sein Ergebnis feiern konnte, bekom Roth einen Dämpfer.

Am Ende tritt Claudia Roth mit einem gequälten Lächeln ans Rednerpult, und bedankt sich kleinlaut für das „sehr schöne Ergebnis“. Von wegen: Die Grünen haben ihrer Parteichefin bei der Wiederwahl am Samstag einen Denkzettel verpasst– und Co-Chef Cem Özdemir ein Traumergebnis beschert. Roth erhält nur 79,3 Prozent der Stimmen und damit 3,4 Prozentpunkte weniger als 2008. Özdemir dagegen kommt auf das Traumergebnis von 88,5 Prozent nach 79,2 Prozent vor zwei Jahren.

Auf dem Parteitag in Freiburg ist die Wiederwahl der Doppelspitze an sich eine Formsache, da es keine Gegenkandidaten gibt. Das Ergebnis für Roth überrascht dann doch. Diese hat sich zuvor kritische Fragen der Delegierten gefallen lassen müssen, weil sie die Bewerbung Münchens für die Olympischen Winterspiele 2018 befürwortet. Roths eigener Landesverband ist strikt dagegen. Ohne jene Fragen wäre das Ergebnis von Roth besser ausgefallen, mutmaßen Grünen-Delegierte unmittelbar nach der Vorstandswahl. Andere Stimmen interpretieren das Ergebnis als Mahnung an die Parteispitze, sich wieder stärker kritischen Inhalten und weniger auf der eigenen positiven Außendarstellung zu widmen.

Daneben haben die Delegierten ihrer frisch gekürten Berliner Spitzenkandidatin Renate Künast den Rücken gestärkt. Auf dem Bundesparteitag in Freiburg erhielt Künast bei den Wahlen zum Parteirat mit 87,2 Prozent der Stimmen das beste Ergebnis im Wahlgang um die sechs Frauenplätze. Auf Platz zwei kam Bärbel Höhn mit 86,4 Prozent. Ebenfalls gewählt wurden Anja Hajduk, Rebecca Harms, Antje Hermenau und Theresa Schopper. Im Anschluss bewarben sich sechs Männer um die verbleibenden Parteiratsplätze. Künast bewirbt sich bei der Abgeordnetenhauswahl im Herbst 2011 um das Amt der Regierenden Bürgermeisterin von Berlin.

Ein gut geschmierter Öko-Motor

Cem Özdemir

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Seine Eltern sind aus der Türkei eingewandert. Am 21. Dezember 1965 bekommen sie Nachwuchs: In Bad Urach im Kreis Reutlingen wird Cem Özdemir geboren.
Seine Eltern sind aus der Türkei eingewandert. Am 21. Dezember 1965 bekommen sie Nachwuchs: In Bad Urach im Kreis Reutlingen wird Cem Özdemir geboren. © ddp | ddp
Nach der Mittleren Reife wird er Erzieher. An diese Ausbildung schließt sich sein Studium der Sozialpädagogik an, das Cem Özdemir mit einer für ihn richtungsweisenden Diplomarbeit abschließt:
Nach der Mittleren Reife wird er Erzieher. An diese Ausbildung schließt sich sein Studium der Sozialpädagogik an, das Cem Özdemir mit einer für ihn richtungsweisenden Diplomarbeit abschließt: "Selbstfindungsprozesse der Nichtdeutschen der zweiten Generation in Deutschland". © ddp | ddp
Sein erster nachhaltiger Kontakt zu den Grünen ist über 30 Jahre her: 1981 wird er Mitglied der Partei.
Sein erster nachhaltiger Kontakt zu den Grünen ist über 30 Jahre her: 1981 wird er Mitglied der Partei. © ddp | ddp
Es dauert einige Jahre, aber dann macht er bei den Grünen Karriere: Von 1989 bis 1994 gehört er zum Landesvorstand seiner Partei in Baden-Württemberg.
Es dauert einige Jahre, aber dann macht er bei den Grünen Karriere: Von 1989 bis 1994 gehört er zum Landesvorstand seiner Partei in Baden-Württemberg. © ddp | ddp
Ganz nebenbei führt er neue Sitten ein, zumindest für sich: Beim Politischen Aschermittwoch seiner Partei nimmt er ein Glas Milch zur Hand...
Ganz nebenbei führt er neue Sitten ein, zumindest für sich: Beim Politischen Aschermittwoch seiner Partei nimmt er ein Glas Milch zur Hand... © ddp | ddp
...oder trinkt den Apfelsaft aus dem Bierglas. Aber das sind Nebensächlichkeiten für Fotografen.
...oder trinkt den Apfelsaft aus dem Bierglas. Aber das sind Nebensächlichkeiten für Fotografen. © ddp | ddp
Özdemirs Karriere erreicht 1994 einen ersten Höhepunkt: Er wird erster Abgeordneter türkischer Herkunft im Deutschen Bundestag.
Özdemirs Karriere erreicht 1994 einen ersten Höhepunkt: Er wird erster Abgeordneter türkischer Herkunft im Deutschen Bundestag. © ddp | ddp
Während seiner zweiten Legislaturperiode im Bundestag ist Özdemir innenpolitischer Sprecher seiner Fraktion.
Während seiner zweiten Legislaturperiode im Bundestag ist Özdemir innenpolitischer Sprecher seiner Fraktion. © ddp | ddp
Er arbeitet in dieser Zeit auch mit an der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts, das seit dem Jahr 2000 gilt.
Er arbeitet in dieser Zeit auch mit an der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts, das seit dem Jahr 2000 gilt. © ddp | ddp
2002 endet Özdemirs flotte Karrieretour ganz plötzlich wegen der
2002 endet Özdemirs flotte Karrieretour ganz plötzlich wegen der "Bonusmeilen-Affäre". © ddp | ddp
Es folgen zwei Jahre zum Nachdenken: Als Stipendiat geht er in die USA, wo er sich unter anderem mit der politischen Selbstorganisation ethnischer Minderheiten in den USA und Europa beschäftigt.
Es folgen zwei Jahre zum Nachdenken: Als Stipendiat geht er in die USA, wo er sich unter anderem mit der politischen Selbstorganisation ethnischer Minderheiten in den USA und Europa beschäftigt. © ddp | ddp
Ab 2004 steht Özdemir wieder mitten in der Grünen-Welt: Er kehrt in die Politik zurück und wird Abgeordneter im Europaparlament.
Ab 2004 steht Özdemir wieder mitten in der Grünen-Welt: Er kehrt in die Politik zurück und wird Abgeordneter im Europaparlament. © ddp | ddp
2008 ist Özdemir auch in Deutschland wieder am Ball. Und das gleich als Parteivorsitzender der Grünen gemeinsam mit Claudia Roth.
2008 ist Özdemir auch in Deutschland wieder am Ball. Und das gleich als Parteivorsitzender der Grünen gemeinsam mit Claudia Roth. © ddp | ddp
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Abgesehen dem Roth’schen Dämpfer verläuft der Parteitag kuschelig. Richtig kontrovers geht es bei den Grünen ohnehin nicht mehr zu. Die Partei funktioniert reibungslos wie ein gut geschmierter Ökomotor – fernab übler Aussetzer aus früheren Tagen. Bereits am Freitag bringen die Delegierten ihr Energiekonzept auf dem Weg. Die Änderungsanträge verarztet die Parteiführung noch im Vorfeld in ihrem Leitantrag.

Zündstoff steckt lediglich in der Frage, ob die Partei bei der Atommüll-Endlagersuche Gorleben von vorn herein ausschließt oder nicht. Auch hier finden die Delegierten noch vor der Debatte einen Kompromiss, mit dem alle Seiten leben können. In den Kernpunkten des Energiekonzepts – Rücknahme der AKW-Laufzeiten, 100 Prozent Ökostrom bis 2030, keine neuen Kohlekraftwerke und mehr energetische Gebäudesanierung – sind sich die Grünen ohnehin einig. Freilich auch im gemeinsamen Prügeln der schwarz-gelben Energiepolitik. Gaga-Forderungen wie den Austausch aller Ölheizungen bis 2015 haben die Grünen ebenfalls in letzter Minute aus ihrem Konzept gestrichen.

Entlastung klammer Kommunen

Monatlang haben die Grünen mit sich gerungen, wie sie die klammen Kommunen entlasten wollen. Das hat so gut geklappt, dass auch hier Einigkeit herrscht. „Mit uns gibt es keine Streichung der Gewerbesteuer“, ruft Parteichef Cem Özdemir in den Saal. Aus ihr soll eine kommunale Wirtschaftssteuer werden. Weiter wollen die Grünen das Kooperationsverbot abschaffen und die Konnexität im Grundgesetz verankern. Es soll sicherstellen, dass Bund und Länder stärker die Kosten übernehmen, wenn sie den Kommunen teure Aufgaben aufbrummen.

Jubel heimst Baden-Württembergs Grünen-Fraktionschef Windried Kretschmann ein. „Wenn man etwas anderes will, steht am Anfang immer ein Nein, das ist doch logisch“, wehrt sich Kretschmann gegen den Vorwurf, die Grünen seien eine Protestpartei. Platte Auseinandersetzungen treiben Leute immer mehr von den demokratischen Institutionen weg, sagt er mit Blick af Stuttgart 21 und kündigt an, bei einem Wahlsieg das Parlament zu stärken.

Keine Abkehr von Rente mit 67

Innerparteiliches Konfliktpotenzial gibt es an diesem Wochenende nur in homöopathischen Dosen. Zur Rente mit 67 liegen zwei Anträge vor, die die Partei am Abend debattieren will. Der Kreisverband Göttingen fordert die Abkehr von der Rente mit 67, weite Teile der Partei wollen aber daran grundsätzlich festhalten.

Die Partei hält zusammen und feilt an ihren Inhalten – diese Botschaft soll vor dem Megawahljahr 2011 vom Freiburger Parteitag ausgehen. Das funktioniert, doch hinter der zur Schau getragenen Harmonie grummelt es. Hinter vorgehaltener Hand fordern Abgeordnete, dass die Grünen wieder mehr diskutieren und sich verstärkt der inhaltlichen Arbeit widmen sollen. Und zwar nicht nur bei den Themen, wo sich die Grünen – weitestgehend – einig sind.