Brüssel..
Analogkäse und Gelschinken sind bereits Tatsachen auf Europas Tellern. Doch immerhin ein Produkt mit der unappetitlichen Bezeichnung „Klebefleisch“ könnte dem Konsumenten erspart bleiben: Der Umweltausschuss des Europaparlaments hat jetzt gegen dessen Zulassung gestimmt.
Der Umweltausschuss des EU-Parlaments will die Zulassung einen neuen Mittels zur Herstellung von „Klebefleisch“ verhindern. Es geht umThrombin als Lebensmittelzusatzstoff. Das Enzym ist zur Herstellung des verfestigten Fleischbreis nötig. Wenn das Plenum sich anschließt, dann ist das Kunstprodukt vorerst vom Tisch.
Thrombin ist ein Enzym, das bei Wirbeltieren Blutgerinnung und Wundheilung in Gang bringt. Gegen den Einsatz in der Lebensmittelinustrie wehren sich allerdings die Parlamentarier im Europaparlament. Diese Woche stimmte der Umweltausschuss gegen die Zulassung. Sollte das Plenum ähnlich entscheiden, dann ist das Klebefleisch in Europa vorerst vom Tisch.
Für Verbraucherschützer allerdings wäre damit allenfalls ein Teilsieg errungen: In den Regalen europäischer Supermärkte finden sich bereits heute Produkte, die man auch ohne Thrombin als Klebefleisch bezeichnen könnte.
Potenzielles Gesundheitsrisiko
Beim „Gelschinken“ beispielsweise wird Stärkegel eingesetzt, um die Fleischfasern zu einer homogenen Masse zu verbinden. Bis zu 60 Prozent davon bestehen aus Wasser, erklärt Martin Rücker von der Verbraucherorganisation Foodwatch. Er beklagt vor allem die Verwässerung der Produktbezeichnungen. „Ursprünglich war Schinken ein edles Stück Fleisch aus der Schweinehüfte.“ Nach und nach firmierten unter der selben Bezeichnung auch Teile aus der Schulter, aus der Lende und schließlich Formfleisch.
Im Lebensmittelbuch, das in Deutschland als Leitlinie bei der Definition von Produktbezeichnungen gilt, liest sich das mittlerweile so: „Muskeln und Muskelgruppen, die aus dem Zusammenhang gelöst worden sind und auch isoliert als Schinken verkehrsfähig wären, können ohne besonderen Hinweis zu größeren Schinken zusammengefügt sein.“
Kritiker sehen in solchen Praktiken nicht nur eine Irreführung der Verbraucher sondern auch ein potenzielles Gesundheitsrisiko. Eine Masse aus Fleischfasern bietet aufgrund ihres größeren Oberflächenvolumens mehr Angriffsfläche für Bakterien und Salmonellen als ein natürlich gewachsenes Stück Fleisch. „Jegliche Vergrößerung der Oberfläche erhöht die hygienische Gefahr“, bestätigt Günther Hammer, der beim Kulmbacher Max-Rubner-Institut im Bereich Fleischtechnologie arbeitet. Ob es tatsächlich zu einer Infektion kommt, hängt allerdings von den Produktionsbedingungen ab, Hitze beispielsweise tötet Keime ab.
„Das öffnet Tür und Tor für Verbrauchertäuschung“
Ein Enzym mit Namen Transglutaminase wird schon heute in der Lebensmitteltechnik eingesetzt. „Das macht die Wurst ein bisschen fester“, erklärt Hammer. Doch nach Recherchen des ARD-Verbrauchermagazins „Markt“ wird der Stoff bereits heute so ähnlich eingesetzt, wie es für das umstrittene Thrombin vorgesehen ist: Zur Verbindung kleinster Fleischteilchen zu einer festen Masse Rohschinken.
Enzyme, in Europa nicht kennzeichnungspflichtig, verändern zwar nicht die Bestandteile eines Fleischprodukts, aber dessen Konsistenz. So werden zähe Fleischfasern zart und auch minderwertige Inhaltsstoffe wieder attraktiv. „Das öffnet Tür und Tor für die Verbrauchertäuschung“, schimpft Armin Valet von der Verbraucherzentrale Hamburg.
Dass sich Kunden häufig gegen solche Kunstprodukte entscheiden, sobald sie besser über Produktionsbedingungen informiert sind, zeigt die überwältigende Reaktion auf eine Liste mit dem bezeichnenden Namen „Lebensmittelimitate im Supermarkt“, die die Hamburger Verbraucherschützer im vergangenen Sommer veröffentlichten. Nachdem die angeprangerten Artikel sich schlechter verkauften, reagierten die Anbieter und änderten in mehreren Fällen das Rezept oder wiesen die Inhaltsstoffe deutlicher aus.
Der Kunde ist machtlos
Rund sechzig Verfahren hat die Hamburger Verbraucherzentrale 2009 gegen Lebensmittelhersteller ins Rollen gebracht, in der Regel wegen irreführender Aufmachung der Verpackungen – der Zitronenkuchen ohne Zitronen ist ein Beispiel. Immerhin in 80 bis 90 Prozent der Fälle geloben die ertappten Erzeuger nach Angabe der Verbraucherzentrale Besserung und geben eine Unterlassungserklärung ab.
In der Regel jedoch ist die Lebensmittelindustrie ihren Kunden ein gutes Stück voraus, so das Fazit der Verbraucherschützer. Für Konsumenten hat Foodwatch-Aktivist Martin Rücker eine ernüchternde Botschaft: „Sie können im Moment gar nichts machen. Sie haben als Kunde nicht die Möglichkeit, die Qualität von Lebensmitteln zu überprüfen.“