Hagen. Ein Weltstar aus Westfalen: Der Sänger Max Raabe spricht im Interview über die Eleganz der leisen Töne, Vorurteilen gegenüber der Unterhaltungsmusik und sein erstes Solo-Album "Übers Meer".
Max Raabe ist ein Weltstar aus Westfalen. Der in Lünen geborene Sänger stellt jetzt sein erstes Solo-Album ohne Palast-Orchester vor - mit Liedern von legendären Komponisten und Textdichtern wie Walter Jurmann und Fritz Rotter. Im Interview erzählt der 47-Jährige von der Eleganz der leisen Töne und Vorurteilen gegenüber der Unterhaltungsmusik.
„Übers Meer” ist ihr erstes Soloalbum mit ihrem Pianisten Christoph Israel. War die Zeit reif dafür?
Max Raabe:Es gibt ja schon seit 1994 ein Soloprogramm. Doch ein Abend auf der Bühne wird immer anders gestaltet als eine Studioaufnahme. Ich wollte mit „Übers Meer” eine bestimmte intime, sehr feinsinnige Stimmung gestalten: Den Sarkasmus und den schwarzen Humor lasse ich außen vor.
Die Lieder sind kleine Miniaturen, die wie Theaterstücke aufgebaut sind. Und Sie finden für jeden Takt eine andere Farbe. Wie erarbeiten Sie diese Interpretations-Konzepte?
Max Raabe:Wenn ich diese Sachen singe, habe ich das reine Vergnügen, wie ein verliebter Kater durch alle Register zu turnen. Es macht mir einfach Spaß, ich mache das aus der Lust, mit der Stimme zu spielen. Ich nehme diese Stücke genauso ernst wie Lieder von Schubert und Schumann, weil die Kompositionen es verdient haben. Das eint mich mit dem Palast-Orchester: Wir nehmen uns nicht ernst, wir nehmen die Musik ernst.
Die Lieder erzählen von Liebe, Sehnsucht und Verlassenwerden. Sie stammen aus den 1920er und 1930er Jahren. Warum sind sie heute noch aktuell?
Max Raabe:Der Umgang mit den Gefühlen, die darin beschrieben werden, das sind zeitlose Themen, das zündet deswegen auch nach wie vor, das begreift jeder sofort. Diese deutschen Titel waren damals schon in den USA beliebt, sie gingen übers Meer, lange bevor ihre Komponisten übers Meer gegangen sind.
Die Komponisten mussten über das Meer gehen, weil sie ausnahmslos jüdisch waren und von den Nazis zur Flucht gezwungen wurden. War das ein Aspekt für Sie?
Max Raabe:Wir schätzen diese Stücke wegen ihrer Qualität, nicht nur wegen des Schicksals ihrer Erfinder. Die Künstler wollten ja den Erfolg für ihre Arbeit, weil sie gut ist.
Hat sich das deutsche Musikleben jemals davon erholt, dass die besten Komponisten ihrer Zeit von den Nazis ermordet oder zur Flucht gezwungen wurden?
Max Raabe:Unsere ganze Kultur hat sich davon nicht erholt. Wie kann man nur so dumm sein, seine Intellektuellen zu vertreiben, seine Bevölkerung auszurotten? Wir haben uns ja selbst verstümmelt, indem wir die jüdischen Künstler nach Amerika vertrieben haben. Je länger man darüber nachdenkt, desto zorniger wird man.
Von Liebe und Liebeskummer erzählen viele Lieder. Was ist das Besondere an ihrer Auswahl?
Max Raabe:Der Umgang mit dem Thema ist eleganter als bei vielen anderen Stücken. Die Melodieführung, die Art, Harmonien aneinanderzureihen, die Spannungsdichte, die Fähigkeit, über große Themen ganz unaufdringlich zu sprechen. Man muss gar nicht viel erklären als Interpret.
Was fasziniert sie ausgerechnet an der Musik der 1920er und 1930er Jahre?
Max Raabe:Diese Musik hat mich berührt, das passte einfach. Meine Begeisterung für dieses Repertoire bringt mich immer wieder unermüdlich weiter. Es gibt noch so vieles zu entdecken, das bereitet mir große Freude.
Wo suchen Sie nach Entdeckungen?
Max Raabe:In Bibliotheken und den Archiven von Plattenfirmen. Die Notenhändler und Antiquare haben immer noch sehr viel Material, das man gar nicht kennt.
In den USA werden Sie in der Kategorie Jazz geführt, in Deutschland gelten Sie als Unterhaltungskünstler. Welche Schublade passt denn nun?
Max Raabe:Man könnte mich unter Weltmusik stellen, ich habe halt keine Kategorie. Den Begriff Unterhaltungskünstler würde ich für mich in Anspruch nehmen. Die Stücke, die ich singe, wurden zu ihrer Zeit im positiven Sinne als Schlager bezeichnet. Heute ist das fast ein Schimpfwort, das ist durch die vielen schlechten Schlager gekommen. Qualität gibt es jetzt wieder in der Szene, die man als deutschen Pop bezeichnet, da hat in den letzten Jahren ein Qualitätssprung stattgefunden, Gott sei Dank.
Sie singen in deutscher Sprache. Wie reagiert das Publikum in den USA oder in China?
Max Raabe:Die Leute reagieren auf die Stimme, sie reagieren auf die Gefühle in der Musik und der Interpretation. Bei Auftritten in Japan, Frankreich und den USA umschreibe ich, um was es in den Texten geht. Das Publikum findet es überhaupt nicht uncool, dass das auf Deutsch gesungen wird, im Gegenteil. Die Zuhörer finden es spannend zu entdecken, dass wir Deutschen auch Humor haben.
Sie haben in Lünen im Kinderchor angefangen und sind Opernsänger mit Examen. Können Sie sich vorstellen, ans Musiktheater zurückzukehren?
Max Raabe:Als Zuhörer reizt mich die Oper sehr, aber nicht als Interpret. Da fehlt mir gar nichts. Ich bin so glücklich, dass meine Musik mich gefunden hat.
Wie beurteilen Sie die aktuelle kulturpolitische Entwicklung in Deutschland?
Max Raabe:Es ist wirklich an der falschen Stelle gespart, Kindern die Möglichkeit zu nehmen, in die Musikschule oder in den Sport zu gehen.
Das Interview mit Max Raabe führte Monika Willer.