Unter Barack Obama ist das „Land der Freien“ zu einem nimmersatten Überwachungsstaat geworden. Das ist aber nicht der einzige Grund, warum dem einst umjubelnden US-Präsidenten bei seinem Deutschlandbesuch keine Begeisterung mehr entgegenschlagen wird.

„Bist du ein andrer oder liegts an mir?“. So heißt es bei Mascha Kaleko am Schluss ihres berühmtesten Gedichtes über eine verblichene Liebe. „Vielleicht kann keiner von uns zwein dafür. Man glaubt oft nicht, was ein paar Jahre machen.“

In der Beziehung zwischen den Deutschen und Barack Obama sind es fünf Jahre. Und auch hier droht „Das Ende vom Lied“. Statt „Obamania“, diesem ungebremsten Jubel, der dem damals unverbrauchten Senator aus Illinois 2008 an der Berliner Siegessäule von 200.000 Menschen entgegenschlug, wird am Mittwoch freundlich temperierter Verdruss auf den sichtlich ergrauten amerikanischen Präsidenten warten, wenn er am hermetisch abgeriegelten Brandenburger Tor vor handverlesenen Gästen ans Mikrofon tritt.

Obama macht die USA zu einem nimmersatten Überwachungsstaat

Die Entfremdung erklärt sich nicht aus dem einen großen Versagen. Es ist die Gesamtschau, die jenen Zweifel begründet, den viele nach den düsteren Jahren der Ära Bush nicht wahrhaben wollten: Der Neue ist - was Krieg, Frieden und innere Sicherheit angeht - so viel anders nicht. Mag Amerika unter Bush nach dem 11. September 2001 zum Hochsicherheitsstaat geraten sein, in dem Gesetze gebogen und Menschenrechte außer Kraft gesetzt wurden - unter Obama ist das „Land der Freien“ zu einem nimmersatten Überwachungsstaat geworden, der im In- und Ausland grundsätzlich alle als Verdächtige begreift und zu gläsernen Bürgern verurteilt, aus deren Reihen dann die potenziell Bösen mit umfassendster Technik herausgefiltert werden.

Geld und Verfassung spielen dabei, wie die global angelegte Datenschnüffelei durch den US-Geheimdienst NSA zeigt, untergeordnete Rollen. Der Zweck heiligt die Mittel. Und Obama, der Mann des Rechts, steht dahinter; uneingeschränkt. Republikaner in Washington sprechen nicht ohne Grund von der „vierten Amtszeit Bush“.

Die persönliche Glaubwürdigkeit ist angegriffen

Die jüngste Eskapade aus der Kategorie Orwell/Big Brother würde weniger durchschlagen und das amerikanische Ur-Misstrauen in jede Regierungstat vergrößern, wenn es sich um ein isoliertes Vorkommnis handelte. Die verschleierten Hintergründe des Angriffs auf die US-Botschaft im libyschen Bengasi, der Skandal um politisch motivierte Steuernachteile für konservative Organisationen, mehrere Bespitzelungsaffären im Dunstkreis von Medien und Geheimdiensten, das Versagen beim Dauerbrenner Guantanamo, der unendliche Drohnen-Krieg, das Zaudern und Zögern in der Syrien-Frage und die Erfolglosigkeit bei zentralen innenpolitischen Themen (Waffengesetze) ergeben indes ein Mosaik, das Obamas wichtigstes Gut angreift: seine persönliche Glaubwürdigkeit.

Schon in der ersten Wahlperiode hatte sie gelitten, kam der Hoffnungsträger von einst kaum zum Regieren. Was nicht nur an einem auf permanenten Krawall gebürsteten Kongress lag, in dem die Republikaner sich in politischer Sabotage üben. Obama hat den Washingtoner Politik-Betrieb gravierend unterschätzt, der noch jedem Präsidenten eine Zwangsjacke verpasst hat.

Obamas Gestaltungsmacht schwindet jeden Tag mehr

Trotz mittelprächtiger Bilanz gaben 66 Millionen Wähler dem ersten Schwarzen im höchsten Staatsamt dennoch eine zweite Chance. Verbunden damit war die Erwartung, dass der Präsident weniger brillante Versöhnungsreden für die Geschichtsbücher hält, sondern im Alltagsgeschäft die Boxhandschuhe anzieht, um seine Politik auch bei großem Widerstand durchzubringen. 42 Monate vor Ablauf seines Arbeitsvertrages mit dem amerikanischen Volk mehren sich die Anzeichen, dass dies ein Irrtum war. Obamas Gestaltungsmacht schwindet jeden Tag mehr.

Am Brandenburger Tor wird ein Geschlagener stehen, nicht der Kennedy des 21. Jahrhunderts. Man glaubt oft nicht, was ein paar Jahre machen...