Bad Neuenahr-Ahrweiler.. Bad Neuenahr-Ahrweiler. Das Szenario: ein atomarer Erstschlag des Warschauer Pakts. Die Lösung: ein Bunker, der 3000 Menschen für 30 Tage Schutz, Schlaf und Essen bietet. Heute: die Dokumentationsstätte Regierungsbunker, tief ins Ahrtal gefräste, sehr deutsche Geschichte.
Das Szenario: ein atomarer Erstschlag des Warschauer Pakts. Die Lösung: ein Bunker, der 3000 Menschen für 30 Tage Schutz, Schlaf und Essen bietet. Heute: die Dokumentationsstätte Regierungsbunker, tief ins Ahrtal gefräste, sehr deutsche Geschichte.
"Bunker" heißt das Geheimprojekt, mit dessen Planungen 1958 begonnen wird - in einer Zeit, in der die Bundesrepublik die Sorge umtreibt, dass aus dem Kalten Krieg ein nuklearer wird. Ein früherer Bahntunnel zwischen Ahrweiler und Dernau ist die Grundlage. In zwölf Jahren entsteht ab 1960 ein Gebäudekomplex unter der Erde mit gigantischen Ausmaßen: Das Bauwerk misst insgesamt über 17 Kilometer, verfügt über jeweils rund 1000 Räume und Büros. Der "Ausweichsitz der Verfassungsorgane des Bundes (AdVB)", Tarnname "Dienststelle Marienthal", hätte unter anderem beherbergt: Bundesbank, Bundesgrenzschutz, Bundespräsident und Bundesregierung. Doch gebraucht wurde er nie.
"Das internationale Echo ist riesig"
Wilbert Herschbach ist der Vorsitzende des Heimatvereins Alt-Ahrweiler, des Betreibers der "Dokumentationsstätte Regierungsbunker", die im Ausweichsitz nun einen Stammsitz hat. Herschbach hat hier schon Journalisten aus Dänemark und Russland begrüßen können, Touristen aus Frankreich oder den USA haben sich im Gästebuch verewigt. "Das internationale Echo", schwärmt Herschbach, "ist riesig." Kein Wunder, handele es sich bei der Dokumentationsstätte doch um ein "einzigartiges Denkmal des Kalten Krieges". Ein Abenteuerspielplatz ist der Ausweichsitz jedenfalls nicht.
Hinein geht es ausschließlich mit Führer. Helmut Schuld gibt in Ahrweiler auch den Nachwächter - und er ist Bunkerführer. "Willkommen an der geheimsten Stelle der Bundesrepublik Deutschland", sagt Schuld. Es ist nicht nur die geheimste, sondern auch die "teuerste, die sich die BRD je geleistet hat". Wieviel Geld genau das System verschlungen hat, weiß wohl niemand so ganz genau, es kursieren diverse Zahlen. Klar nur: Mehrere Milliarden (Mark) sind hier begraben. Allein 22 Millionen Mark sollen für den Unterhalt des Betriebs in jedem Jahr ausgegeben worden sein, erzählt Schuld.
Die Tore sollten selbst einer Atombombe standhalten
Aber genug der Zahlen - es geht um Impressionen: Es gibt eine Doppelschleuse, die den Zugang ins Röhrensystem regelt: zwei je 25 Tonnen schwere Tore, die selbst einer nuklearen Waffe hätten standhalten sollen. Eins stets geschlossen zur Sicherheit, maschinell in zehn Sekunden schließbar. Für den Notfall wäre es auch per Hand mit einer Kurbel gegangen: "Da hätten dann zwei Mann 40 Minuten gedreht, dann wäre diese Tür verschlossen gewesen." Ob die Zeit wohl im Ernstfall gereicht hätte, fragt Schuld halb im Spaß, halb im Ernst.
Die Atmosphäre in den Röhren ist befremdlich: lange Gänge wie auf einem Schiff, schwere Drehtüren aus Stahl wie in einem U-Boot. Kein Tageslicht, ein leicht modriger Geruch, dutzende Meter unterhalb der Spitze des Kuxbergs. In der Kommandozentrale ist die Uhr um kurz nach acht stehen geblieben - besser als fünf vor zwölf. Ein roter Zeiger steht auf sieben Uhr - Schichtbeginn. Doch die Monitore sind tot. Nicht weit von hier gibt es das einzige Fenster des gesamten Komplexes. Zentimeterdickes Panzerglas gewährte einen Schartenblick nach draußen, heute blicken Besucher von innen hinaus in den Anbau, der mit der Dokumentationsstätte hinzu gekommen ist.
Lohnend ist der Blick auf die Details
Es gibt wenige Räume, die so weitgehend im Original erhalten sind wie die Kommandozentrale. Daher lohnt vielfach der Blick auf die Details. Tafeln, die im "Anlegen von Brandhauben im Fluchtfall" schulen. Ein Hinweisschild auf Lebensgefahr, das die genaue Art der Bedrohung, "(Quetschen)", gleich mitliefert; ein "Merkblatt für die Bekämpfung von Bränden in elektrischen Anlagen und in deren Nähe" - gültig ab dem 1. Februar 1979. Alles ist durchnummeriert: die Bauwerke, die Räume, die Einzelteile. Nichts wird dem Zufall überlassen. In einem Materialraum läuft ein kurzer Film. Darin fällt ein Ausdruck, der alles im und um den Bunker irgendwie auf den Punkt bringt: "jahrzehnte lang konservierte Biederkeit und Perfektion". Fast anarchisch muten da die Sticker an, die hier und dort geklebt sind: "Bundesgrenzschutz. Modern. Aktiv. Polizei des Bundes" oder "Ich bin Energiesparer" oder "Mehr Lohn für alle. Früherer Ruhestand. Mehr Arbeitsplätze. Arbeitszeit nach Maß". Ein Kleeblatt unterstreicht die Forderungen.
Heinrich Weitzels kreuzt den Weg. Führer ist auch er hier, außerdem kümmert er sich um die Technik im Dokumentationszentrum. "Machen Sie mal einen Schritt", empfiehlt Weitzels. Gesagt, getan. "Dieser Meter hat 280000 Mark gekostet", kommentiert Weitzels. Er hat Anfang der 60er Jahre selbst als Elektriker beim Aufbau des Bunkers gearbeitet und blickt auf das Röhrensystem mit wenig nostalgischen Gefühlen: Die Nato-Manöver im Ausweichsitz - "die haben dann hier Krieg und Frieden gespielt, mit einem Bundeskanzler ÜB - für übungshalber". Das große Geheimnis - "Ich war einer der geheimen Leute. Ich durfte nichts sagen, aber überall hinein. Nur: das mit dem nichts Sagen ist eher so eine Redensart..."
Vollständiger Rückbau nach der Aufgabe der Anlage
Der beeindruckendste Anblick bietet sich Besuchern am Ende des begehbaren Teils: Dort ist der alte Bahntunnel vollständig freigelegt, etwa 250 Meter weit reicht der Blick in die Röhre. "Von hier aus geht das schnurgerade hindurch bis nach Marienthal", erzählt Führer Schuld. Wenn nicht ein Stahlgitter den Zutritt versperren würde. Da erzählt Schuld die Geschichte, warum bloß 203 Meter dieses Riesen-Komplexes heute wieder begehbar sind: Als der Bund sich Ende der 90er entschloss, den Ausweichsitz in Ermangelung eines Kalten Kriegs aufzugeben, kursierten diverse Pläne, die sich alle alsbald zerschlugen. Konsequenz: vollständiger Rückbau der Anlage. Fast abgeschlossen ist der, da merkt der Bund, dass das Ganze billiger ist als erwartet. 203 Meter wären es noch gewesen, die für den Rest-Rückbau anstanden. 203 Meter reichen für das Dokumentationszentrum.
Zurück an der Sonne. Im Dunkeln der Ort, an dem die Bundesrepublik selbst an Aufbahrungsräume mit Bleitüren für Strahlungstote gedacht hat. Oder an eine 16 Meter lange, ausfahrbare Teleskop-Antenne. Oder an Schiffsaggregate, die im Notfall die Stromversorgung gewährleisten. Oder an montägliche Probealarme für die über 300 Tunnel-Beschäftigten, die unter der Erde ihre Schichten schoben. "Kathedrale des Kalten Kriegs" hat die Frankfurter Allgemeine Zeitung über diesen Bunker mal geschrieben. Für den Express war es der "Warteraum für den Weltuntergang". Die 3000 "wichtigsten" Deutschen hätte es getroffen. Und die anderen Millionen? Wer wären die 3000 "Auserwählten" gewesen? Warten, 30 Tage lang, und dann? "Wie es nach 30 Tagen weitergegangen wäre, das weiß keiner", sagt Führer Schuld, "das ist die große Frage." Vielleicht die größte. Antworten darauf gibt es im Ausweichsitz nicht.
Fotostrecke: Impressionen aus dem Regierungsbunker im Ahrtal