Vor den nächsten Beratungen bei der Kanzlerin zeigt sich: Ihre absolute Vorsicht als Mutter der Pandemie-Kiste wird zusehends in Frage gestellt.
Niedersachsen kündigt die Öffnung der Gastronomie an. Sachsen-Anhalt erlaubt Begegnungen von fünf Personen in der Öffentlichkeit. Und NRW-Familienminister Stamp von der FDP will sich nicht länger „vertrösten“ lassen und droht mit einem „eigenen Weg“ bei Kita-Öffnungen. Vor den nächsten Bund-Länder-Beratungen bei der Bundeskanzlerin am Mittwoch ist von einer gemeinsamen Linie im Kampf gegen das Corona-Virus nicht mehr viel zu erkennen.
Der harte „Lockdown“, den Merkel und ihr neuer CSU-Freund Söder seit Wochen eisern mit ihren virologischen Ratgebern verteidigen, wird inzwischen offen in Frage gestellt. Vorsicht als Mutter der Pandemie-Kiste war bislang zwar ausgesprochen populär, weil die allgemeine Angst vor Ansteckung groß und gesichertes Wissen über einen möglichen Infektionsverlauf klein ist. Doch inzwischen merken immer mehr Politiker vor Ort, in welchem Tempo gerade Existenzen vernichtet, Lebenspläne durchkreuzt und Kindern Chancen geraubt werden. Ist eine umfassendere Risiko-Abwägung, wie sie der als „leichtsinniger Lockdown-Lockerer“ beschimpfte Laschet zuerst gefordert hat, doch nicht so verkehrt?
Es ist richtig, dass der Föderalismus selbst in dieser Krise nicht einfach nur Dekrete aus dem Kanzleramt abnickt. Das Infektionsgeschehen ist regional sehr unterschiedlich, deshalb kann eine Lockerungspolitik der unterschiedlichen Geschwindigkeit nicht verkehrt sein. Wichtig erscheint dabei vor allem, dass der „eigene Weg“, den auch Stamp jetzt bei den Kitas beschreiten will, professionell mit allen Betroffenen durchgeplant ist. Das jüngste NRW-Schulchaos mit seiner wirren Kommunikation ist da leider in Sachen Handwerk keine Empfehlung.