Berlin. Die Grünen legen sich nicht fest: Auf ihrem Parteitag beschließen sie einen Wahlaufruf, der die Koalitionsfrage offen lässt - auch in Richtung der Linken. Mit Union und FDP allerdings geht gar nichts. Ansonsten träumt man von einem grünen "New Deal" und einer Million neuer Jobs.
Claudia Roth sagt es frei heraus: "Kein Projekt a la Schröder und Joschka", kein Bekenntnis zu einem Ampel"-Bündnis, überhaupt gar keine Koalitionsaussage. Nur eines schließt die Grünen-Chefin für die Septemberwahl aus: Ein Zusammengehen mit Union und FDP. Roth: "Jamaika bleibt in der Karibik". Die Delegierten des Grünen-Parteitages liegen ihr zu Füßen. Sie beschlossen gestern einen Wahlaufruf, der alles offen lässt, übrigens - aber ja doch! - auch Gespräche mit den Linken.
Grüne Eigenständigkeit gilt erst recht in der Programmatik. Aus der Krise helfe nur Grün, mit einem Gesellschaftsvertrag, einem grünen "New Deal". Grün seien andere allenfalls "hinter den Ohren", ätzt Jürgen Trittin, der Spitzenkandidat. Berlin, Velodrom: Draußen scheint die Sonne, drinnen bringt sich eine Partei auf Betriebstemperatur für den Wahlkampf. "Grün dreht das", lautet das Motto. Sie wollen Milliarden umlenken: In ökologische Investitionen, in Spar- und Effizienztechnologien.
Den grünen "New Deal" wollen viele
Barack Obama will den grünen "New Deal", Ban Ki Moon redet so, Prinz Charles schon lange. Der amerikanische Präsident, der UN-Generalsekretär, der britische Thronfolger - allesamt Kronzeugen. Ihre Statements werden in einem Film den rund 800 Delegierten vorgespielt. Bundespräsident Horst Köhler gehört eigentlich in die Reihe. Aber das ersparen sie ihrem Gast: Gesine Schwan, Köhlers Herausforderin. Sie hat den Ton nicht auf Anhieb getroffen und musste ihnen erst 15 Minuten lang nach dem Mund reden. Aber dann waren sie soweit: Stehende Ovationen, na also!
Eine Million neue Jobs in vier Jahren wollen die Grünen. 40 Prozent davon auf urgrüne Art: Durch erneuerbare Energien, Gebäudesanierung, Öko-Landwirtschaft, Abfall und Wasserwirtschaft. Im Auge haben sie neuerdings auch die klassischen Branchen, Chemie, Autoindustrie, Maschinenbau, Elektroindustrie. Sie seien keine Gegner, "sondern Partner". Ein Feindbild bleibt: Die vier großen Energieversorger. "Neue Strukturen müssen her", ruft Renate Künast, die zweite Spitzenkandidatin. Bis 2030 wollen die Grünen zu 100 Prozent Erneuerbare Energien. Künast: "Das ist zu schaffen." Den vier Energieversorgern traut sie das offenkundig nicht zu.
Guido verhüten - das ist das Ziel
Wie wollen sie ihr Programm bezahlen, mit wem umsetzen? Mit einer Gegenfrage tastet sich Jürgen Trittin an die Antwort heran. Sei es nicht vernünftiger, 20 Milliarden Euro jährlich für Klima oder Bildung anstatt für Steuersenkungen auszugeben? Zudem würden die Grünen eine Vermögensabgabe einführen.
Delikater gar ist die Frage nach Koalitionspartnern. Welche Kröte ist verdaulicher, die Linke oder die FDP? An den Linken stört der Populismus. So sehr sich Grünen abhetzen, die Linke ist schon da - und großzügiger. Während der Parteitag eine Grundsicherung von 420 Euro und einen Mindestlohn von 7,50 Euro beschließt, ist die Linke anderntags weiter: 500 Euro ALG II, Mindestlohn zehn Euro.
Und doch ist die inhaltliche Schnittmenge mit der Linken groß. Immerhin beschlossen die Grünen die Praxisgebühren und die Medikamenten-Zuzahlungen zu streichen, Partnereinkommen nicht auf ALG II anzurechnen - eine Abkehr von der Agenda 2010, die sie selbst beschlossen hatten. Es sind Delegierte aus NRW, Arndt Klocke oder Arvid Bell, die sich am emotionalsten von der FDF abgrenzen und die Tür zur Linken einen Spalt offen halten. Ein Großteil empfindet die FDP als parlamentarischen Arm der Heuschrecken. Auf keine andere Partei reagieren sie so allergisch. Es gibt keine größere Reizfigur als Guido Westerwelle. Als Aufkleber entdecken wir das wahre Wahlziel: `Guido verhüten".